Kanzleibrief Juli und August 2022

Sehr geehrte Damen und Herren,

in unserem Kanzleibrief Juli und August 2022 Jahr haben wir interessante Themen zu rechtlichen und steuerlichen Sachverhalten ausgewählt, um Sie hierüber zu informieren.

Bitte sprechen Sie uns an, falls Sie zu den einzelnen Themen Fragen haben oder weitere Informationen benötigen.

Viele Grüße

Ihr Team von Schauer Häffner & Partner

Inhalte:

Steuerzahlungstermine August und September


Steuerzahlungstermine im August

 

Fälligkeit

Zahlungsfrist bei Überweisung

Lohn- /Kirchensteuer

10.08.

15.08.

Umsatzsteuer

10.08.

15.08.

Grundsteuer

15.08.

18.08.

Gewerbesteuer

15.08.

18.08.

 

Steuerzahlungstermine im September

 

Fälligkeit

Zahlungsfrist bei Überweisung

Lohn- /Kirchensteuer

12.09.

15.09.

Umsatzsteuer

12.09.

15.09.

Einkommensteuer

12.09.

15.09.

Körperschaftsteuer

12.09.

15.09.

 

Sonstige Termine

25.08.

Übermittlung Beitragsnachweise für August 2022

25.08.

Zusammenfassende Meldung Juli 2022

29.08.

Fälligkeit (voraussichtliche) Beitragsschuld August 2022 zzgl. restliche Beitragsschuld Juli 2022

26.09.

Übermittlung Beitragsnachweise für September 2022

26.09.

Zusammenfassende Meldung August 2022

28.09.

Fälligkeit (voraussichtliche) Beitragsschuld September 2022 zzgl. restliche Beitragsschuld August 2022

 

Aktuelles zur Grundsteuerreform


Von der Finanzverwaltung haben wir aktuell erfahren, dass ein persönliches Anschreiben zur Aufforderung der Abgabe einer Feststellungserklärung für die Grundsteuer lediglich an alle natürlichen Personen mit Grundbesitz im Privatvermögen versandt wurde.

Ein derartiges Anschreiben ist nicht vorgesehen für Grundbesitzer in der Rechtsform von Kapitalgesellschaften, Personenhandelsgesellschaften oder anderen gewerblichen Gesellschaften sowie von Bruchteilsgemeinschaften, Erbengemeinschaften und Personengesellschaften. Für diese Grundstückseigentümer erfolgt keine Aufforderung durch die Finanzverwaltung. Die Erklärungspflicht im Zeitraum 01.07. – 31.10.2022 besteht jedoch ungeachtet für alle Grundbesitzer.

Mindestlohn und Minijob-Grenze steigen zum 01.10.2022


Die Erhöhung des Mindestlohns zum 1.10.2022 auf 12 EUR erfordert auch Anpassungen bei Mini- und Midijobs. Neben der bloßen Anhebung von Verdienstgrenzen gibt es auch neue Regelungen.

 

Dynamische Geringfügigkeitsgrenze

Künftig orientiert sich die Geringfügigkeitsgrenze an einer Wochenarbeitszeit von 10 Stunden zu Mindestlohnbedingungen. Sie wird dementsprechend mit Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns auf 12 EUR pro Stunde auf 520 EUR monatlich erhöht und dynamisch ausgestaltet.

 

Unvorhersehbares Überschreiten der Geringfügigkeitsgrenze

Was bisher nur im Rahmen der Auslegung durch die Spitzenorganisationen der Sozialversicherung in den Geringfügigkeits-Richtlinien geregelt ist, soll gesetzlich normiert werden: Die Möglichkeit eines zulässigen unvorhersehbaren Überschreitens der Entgeltgrenze. Allerdings wird diese Regelung stark eingeschränkt, um Missbrauch zu vermeiden.

 

Neue Höchstgrenze und Formeln für den Übergangsbereich

Die Höchstgrenze für eine Beschäftigung im Übergangsbereich wird von monatlich 1.300 EUR auf 1.600 EUR angehoben. Die Untergrenze beginnt dann bei 520,01 EUR. Die Formel zur Ermittlung der beitragspflichtigen Einnahme, nach der sich der Gesamtbeitrag für jeden Versicherungszweig bemisst, wird angepasst. Gleichzeitig wird eine neue Formel allein zur Berechnung der Arbeitnehmeranteile eingeführt.

 

Neue Beitragslastverteilung im Übergangsbereich

Die Maßnahmen im Übergangsbereich bewirken eine weitergehende Entlastung von sozialversicherungspflichtig Beschäftigten mit geringem Arbeitsentgelt als die heutige Midijob-Regelung. Damit soll der Belastungssprung beim Übergang vom Minijob zum Midijob geglättet und der Anreiz für Minijobber erhöht werden, ihre Arbeitszeit über die Minijob-Grenze hinaus auszuweiten. Gleichzeitig werden Arbeitgeber zunächst stärker belastet als bisher, indem der Arbeitgeberbeitrag oberhalb der Geringfügigkeitsgrenze zunächst auf die für einen Minijob zu leistenden Pauschalbeiträge i. H. v. 28 % angeglichen und gleitend auf den regulären Sozialversicherungsbeitrag abgeschmolzen wird.

 

Bestandschutzregelungen für Alt-Midijobber bis 520 EUR

Für Arbeitnehmende, die am 30.9.2022 Midijobber mit einem durchschnittlichen Arbeitsentgelt bis 520 EUR im Monat sind, bleiben aufgrund von Bestandschutzschutzregelungen längstens bis 31.12.2023 unter den alten Midijob-Bedingungen versicherungspflichtig in der Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung. Die Befreiung von der Versicherungspflicht kann beantragt werden. In der Rentenversicherung gilt das nur für Beschäftigungen in Privathaushalten.

 

Gesetzesänderungen Steuerentlastungsgesetz 2022 (BGBl. 2022 Teil I S. 749)


Der Bundesrat hat am 20.5.2022 dem Steuerentlastungsgesetz 2022 zugestimmt. Das Gesetz tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft, Teile davon mit Wirkung vom 1. Januar 2022.

Nachfolgend in Grundzügen nur einige wesentliche Regelungen.

 

1. Einkommensteuer

1.1. Grundfreibetrag (§ 32a EStG)

Der Grundfreibetrag wird auf 10.347 € erhöht (bisher 9.984 €).

Damit soll zum Teil die kalte Progression und die Inflation ausgeglichen werden. Mit der Erhöhung werden insbesondere Bezieher niedrigen Einkommens stärker entlastet.

Die Vorschrift tritt mit Wirkung vom 1. Januar 2022 in Kraft.

 

1.2. Arbeitnehmer Pauschalbetrag (§ 9a EStG)

Der Arbeitnehmer-Pauschbetrag wird – rückwirkend zum 1. Januar 2022 – um 200 € auf 1.200 € erhöht.

 

1.3 Entfernungs-Pauschale / Familienheimfahrten (§ 9 EStG)

Auf Grund der erheblich gestiegenen Kraftstoffpreise wird die ursprünglich für den 1.1.2024 vorgesehene Anpassung der Pauschale ab dem 21. Entfernungskilometer auf 38 Cent rückwirkend auf den 1.1.2022 vorgezogen.

Unverändert 30 Cent bleibt die Pauschale bis zum 20. Kilometer.

Die Erhöhung auf 38 Cent gilt auch rückwirkend ab 2022 für Steuerpflichtige bei Familienheimfahrten im Rahmen der doppelten Haushaltsführung.

 

1.4. Energiepreispauschale (§ 112 ff. EStG)

 

1.4.1. Veranlagungszeitraum, Höhe (§ 112 EStG)

Für den Veranlagungszeitraum 2022 wird anspruchsberechtigten eine einmalige steuerpflichtige Energiepreispauschale in Höhe von 300 € gewährt. Die Pauschale soll einen Ausgleich für die deutlich gestiegenen erwerbsbedingten Wegaufwendungen gewähren.

 

1.4.2.Anspruchsberechtigung (§ 113 EStG)

Anspruch auf die Energiepreispauschale haben unbeschränkt Steuerpflichtige, die im Veranlagungszeitraum 2022 aktiv tätig sind und Einkünfte erzielt haben aus –

            § 13 EStG Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft,

            § 15 EStG Einkünfte aus Gewerbebetrieb,

            § 18 EStG Einkünfte aus selbständiger Arbeit

            oder

           § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit (Gehälter, Löhne, Gratifikationen, Tantiemen und andere Bezüge und Vorteile für eine
           Beschäftigung im öffentlichen oder privaten Dienst).

 

Anspruch haben auch z. B. kurzfristig oder geringfügig Beschäftigte („Mini-Jobber“), Freiwillige i. S. des § 2 Bundesfreiwilligendienstgesetzes (BFDG) und Freiwillige i. S. des § 2 Jugendfreiwilligendienstgesetzes (JFDG).

Die Pauschale steht jedem Anspruchsberechtigten nur einmal zu.

Keinen Anspruch auf die Energiepreispauschale haben Personen, die ausschließlich ein passives Einkommen erzielen, insbesondere z. B. aus –

            § 21 EStG Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung,

            § 20 EStG Einkünfte aus Kapitalvermögen,

            oder

            § 22 EStG Sonstige Einkünfte (Rentenempfänger).

 

1.4.3. Entstehung des Anspruchs (§ 114 EStG)

Der Anspruch auf die Pauschale entsteht am 1. September 2022.

Einen Anspruch haben auch solche Steuerpflichtige, bei denen die Voraussetzungen zu einem anderen Zeitpunkt im Jahr 2022 erfüllt sind.

 

1.4.4. Festsetzung mit der Einkommensteuerveranlagung (§ 115 EStG)

Die Energiepreispauschale wird grundsätzlich mit der Einkommensteuerveranlagung für den Veranlagungszeitraum 2022 festgesetzt.

Dies gilt jedoch dann nicht, wenn die Pauschale vom Arbeitgeber ausgezahlt wurde.

 

1.4.5. Auszahlung an Arbeitnehmer (§ 117 EStG)

Bei Arbeitnehmern wird die Energiepreispauschale mit der Lohnabrechnung September 2022 vom Arbeitgeber ausgezahlt, wenn sie am 1. September 2022 in einem gegenwärtigen ersten Arbeitsverhältnis stehen und in einer der Steuerklassen 1 bis 5 besteuert werden oder pauschal besteuerten Arbeitslohn (§ 40 a EStG) beziehen.

In diesen Fällen können die Arbeitgeber die Energiepreispauschale gesondert vom Gesamtbetrag der einzubehaltenden Lohnsteuer entnehmen, d. h. der Arbeitgeber ist im Ergebnis nicht belastet.

 

2. Bundeskindergeldgesetz (§ 6)

Für jedes Kind, für das im Juli 2022 oder mindestens in einem anderen Kalendermonat im Kalenderjahr 2022 ein Anspruch auf Kindergeld besteht, wird ergänzend zum Kindergeld ein Einmalbonus von 100 € ausgezahlt.

Zum 10-Tages-Zeitraum bei Umsatzsteuerzahlung im Januar


Voraussetzung für regelmäßig wiederkehrende Einnahmen und Ausgaben ist zum einen, dass sie kurze Zeit vor Beginn bzw. kurze Zeit nach Beendigung des Kalenderjahres der wirtschaftlichen Zugehörigkeit gezahlt werden. Zum anderen müssen sie aber auch in diesem Zeitraum fällig geworden sein.

 

Hintergrund

X führt einen Gewerbebetrieb mit Gewinnermittlung durch Einnahmen-Überschuss-Rechnung. Die Umsatzsteuer-Vorauszahlungen für Mai bis Juli 2017 leistete er verspätet erst am 9.1.2018. Trotzdem machte X die Zahlungen noch als Betriebsausgaben für 2017 geltend.

Das Finanzamt versagte den Abzug und erhöhte den Gewinn entsprechend. Denn die Ausgaben waren nicht rund um die Jahreswende 2017/2018, sondern weit vorher fällig geworden. Damit lagen die Abzugsvoraussetzungen eines Abflusses kurze Zeit nach Beendigung des Kalenderjahres nicht vor.

Das Finanzgericht folgte der Auffassung des Finanzamts und wies die Klage ab.

Mit der Revision machte X geltend, das Erfordernis, dass die regelmäßig wiederkehrende Ausgabe kurze Zeit vor oder nach Beendigung des betroffenen Kalenderjahres fällig geworden sein muss, ist § 11 Abs. 2 Satz 2 EStG nicht zu entnehmen. Es kommt deshalb lediglich auf die wirtschaftliche Zuordnung der Ausgabe und den Zeitpunkt der Zahlung an.

 

Entscheidung

Die Revision hatte keinen Erfolg. Der Bundesfinanzhof entschied, dass die Zahlungen erst für das Jahr 2018 zu berücksichtigen sind. Die Voraussetzungen für eine hiervon abweichende zeitliche Zuordnung der Zahlungen als regelmäßig wiederkehrende Ausgaben liegen nicht vor.

Bei der Einnahmen-Überschuss-Rechnung gilt für den Betriebsausgabenabzug das Abflussprinzip. Ausgaben sind für das Kalenderjahr abzusetzen, in dem sie geleistet wurden. Auf die Fälligkeit kommt es grundsätzlich nicht an. Somit war trotz der bereits im Jahr 2017 eingetretenen Fälligkeit nach dem Abflussprinzip der Betriebsausgabenabzug erst für 2018 möglich.

Nach dem Ausnahmetatbestand in § 11 Abs. 2 Satz 2 EStG sind regelmäßig wiederkehrende Ausgaben in dem Kalenderjahr abzusetzen, zu dem sie wirtschaftlich gehören, soweit sie kurze Zeit vor Beginn oder kurze Zeit nach Beendigung des Kalenderjahres geleistet wurden (10-Tage-Zeitraum). Zwar handelt es sich bei Umsatzsteuer-Vorauszahlungen um regelmäßig wiederkehrende Ausgaben. Zudem gehörten die Vorauszahlungen im Streitfall wirtschaftlich ins Jahr 2017. Es fehlt jedoch an der weiteren Voraussetzung, dass die Ausgabe kurze Zeit vor Beginn bzw. kurze Zeit nach Beendigung des Kalenderjahres der wirtschaftlichen Zugehörigkeit fällig geworden ist.

Der Bundesfinanzhof hat bereits mehrfach vertreten, dass regelmäßig wiederkehrende Einnahmen und Ausgaben nur zu berücksichtigen sind, wenn sie (über den Wortlaut von § 11 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 1 Satz 2 EStG hinaus) innerhalb des 10-Tage-Zeitraums vor oder nach Ende des Kalenderjahres der wirtschaftlichen Zugehörigkeit fällig geworden sind.

Die Finanzverwaltung verlangt ebenfalls die Fälligkeit innerhalb des 10-Tage-Zeitraums.

Diese Auffassung vertritt ganz überwiegend auch das Schrifttum.

Der Bundesfinanzhof schließt sich nunmehr der herrschenden Meinung zum Erfordernis der Fälligkeit innerhalb des 10-Tages-Zeitraums an. Dafür sprechen systematische und teleologische Erwägungen. Mit der Ausnahme vom Zu- und Abflussprinzip sollen Zufälligkeiten vermieden werden, die entstehen würden, wenn man die Zahlung mal in dem einen oder mal in dem anderen Jahr berücksichtigen würde.

Wegzugsbesteuerung bei Übertragung von GmbH-Anteilen an einen USA-Ansässigen


Werden Anteile an einer Kapitalgesellschaft auf einen beschränkt Steuerpflichtigen unentgeltlich übertragen, ist das Recht Deutschlands zur Besteuerung der in den übertragenen Anteilen ruhenden stillen Reserven nicht ausgeschlossen oder beschränkt.

 

Hintergrund

Der Vater V übertrug im Jahr 2009 an seinen Sohn S, der die US-amerikanische Staatsbürgerschaft besaß und im Zeitpunkt der Übertragung in den USA ansässig war, einen Geschäftsanteil an einer GmbH mit Sitz im Inland. Das Vermögen der GmbH bestand überwiegend aus im Inland belegenem Grundvermögen. In unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang hatte V weitere Geschäftsanteile an der GmbH an seine Ehefrau E übertragen.

Das Finanzamt behandelte die Übertragungen auf S und E als teilentgeltliche Erwerbe und setzte für V einen steuerpflichtigen Übertragungsgewinn für die Übertragung auf S und E an.

Für den unentgeltlichen Teil der Übertragung auf S bejahte das Finanzamt die Wegzugsbesteuerung nach § 6 AStG. Es ermittelte einen (weiteren) Veräußerungsgewinn und setzte die Einkommensteuer für V entsprechend fest.

Das Finanzgericht folgte dem Finanzamt und wies die gegen die Wegzugsbesteuerung gerichtete Klage des V ab.

 

Entscheidung

Der Bundesfinanzhof sah § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AStG im Streitfall als erfüllt an und entschied, dass eine einschränkende Auslegung nicht in Betracht kommt.

V hat die Anteile an der GmbH, an der er innerhalb der letzten 5 Jahre zu mindestens 1 % beteiligt war, durch teilweise unentgeltliches Rechtsgeschäft auf seinen nicht unbeschränkt steuerpflichtigen Sohn S übertragen. Damit sind bei V dem Wortlaut nach die Voraussetzungen der Wegzugsbesteuerung nach § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AStG erfüllt.

§ 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AStG ist weder aus teleologisch-historischen noch aus systematischen Gründen einschränkend dahingehend auszulegen, dass durch die unentgeltliche Anteilsübertragung auf einen beschränkt Steuerpflichtigen das Recht Deutschlands zur Besteuerung der in den unentgeltlich übertragenen Anteilen ruhenden stillen Reserven ausgeschlossen oder beschränkt werden müsste.

Die mit der Revision verfolgte einengende Auslegung des § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AStG ist auch nicht aus verfassungsrechtlicher Sicht geboten. Denn eine verfassungskonforme Auslegung scheidet aus, wenn sie dem Wortlaut der auszulegenden Norm sowie dem klar erkennbaren Willen des Gesetzes widerspricht.

Die Norm durchbricht zwar das Realisationsprinzip, nach dem Wertzuwächse grundsätzlich erst bei einer transaktionsbezogenen Gewinnrealisierung erfasst werden dürfen. Jedoch ist ausnahmsweise die Abrechnung der vorhandenen stillen Reserven bereits vorher ohne Transaktion zulässig, wenn ein späterer Steuerzugriff (z. B. aufgrund von DBA) nicht mehr oder nur eingeschränkt möglich wäre. § 6 Abs. 1 AStG verlagert damit lediglich die Besteuerung zeitlich vor, die nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e EStG grundsätzlich vorgesehen ist.

Die einengende Auslegung ist im Streitfall auch nicht unionsrechtlich geboten. Zwar ist bei einer Schenkung von Anteilen die Kapitalverkehrsfreiheit einschlägig. Damit stellt sich jedoch nicht die Frage der Rechtfertigung der sofortigen Entstrickungsbesteuerung nach § 6 AStG. Denn die sog. Standstill-Klausel greift ein, weil mit der Übertragung der Anteile von V auf S eine Direktinvestition vorliegt und § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AStG für Schenkungen seit dem Stichtag (31.12.1993) unverändert gegolten hat. V kann sich damit nicht auf die Kapitalverkehrsfreiheit berufen.

Es liegt auch kein Verstoß gegen Art. 24 Abs. 1 DBA-USA (Verbot der höheren Besteuerung von Staatsangehörigen des anderen Vertragsstaats) vor. Dieses Verbot greift schon deshalb nicht ein, weil die Steuerpflicht des V nicht an die Staatsangehörigkeit, sondern an den Wohnsitz und den gewöhnlichen Aufenthalt des S als Erwerber anknüpft.

Erbschaftsteuer: Wenn das Familienheim aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr genutzt werden kann


Gesundheitliche Beeinträchtigungen können zwar zwingende der Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken entgegenstehende Gründe darstellen. Eine Pflegebedürftigkeit begründet jedoch regelmäßig keine objektive Unmöglichkeit der Selbstnutzung.

 

Hintergrund

X ist Alleinerbin ihres 2009 verstorbenen Vaters. Zum Nachlass gehörte ein Grundstück mit einem 1951 erbauten Einfamilienhaus. X hatte dieses Haus gemeinsam mit ihrem Vater bewohnt und wohnte zunächst weiterhin im Obergeschoss. Dementsprechend berücksichtigte das Finanzamt im Rahmen der Festsetzung der Erbschaftsteuer die Steuerbefreiung für ein Familienheim.

Im Jahr 2016 (d. h. vor Ablauf der 10-Jahres-Frist) zog X aus und ließ das Haus abreißen.

Das Finanzamt änderte darauf die Steuerfestsetzung und setzte die Erbschaftsteuer ohne die Steuerbefreiung fest.

Das Finanzgericht wies die Klage ab. Es verneinte zwingende einer Selbstnutzung entgegenstehende Gründe. Gebäudemängel oder Unwirtschaftlichkeit der Sanierung genügten nicht. Gesundheitliche Beeinträchtigungen beim Treppensteigen hätten X nicht gehindert, mit Unterstützung durch einen Bekannten weiterhin das Obergeschoss zu nutzen.

 

Entscheidung

Der Bundesfinanzhof hob das Finanzgerichtsurteil auf und verwies die Sache an das Finanzgericht zurück.

Zwingende Gründe, die einer Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken entgegenstehen, liegen vor, wenn die externen Hilfe- und Pflegeleistungen ein solches Ausmaß annehmen, dass nicht mehr von einer selbstständigen Haushaltsführung gesprochen werden kann.

Die Steuerbefreiung für den Erwerb eines Familienheims entfällt mit Wirkung für die Vergangenheit, wenn der Erwerber das Familienheim innerhalb von 10 Jahren nach dem Erwerb nicht mehr zu Wohnzwecken selbst nutzt, es sei denn, er ist aus zwingenden Gründen an einer Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken gehindert.

Die Hinderungsgründe müssen sich auf die Selbstnutzung des vorliegenden Familienheims beziehen.

Die Steuerbefreiung erfordert, dass dem Erwerber aus objektiven Gründen die Selbstnutzung des Familienheims unmöglich oder nicht mehr zuzumuten ist. Das liegt nicht bereits bei Pflegebedürftigkeit vor, solange der Erwerber unter Zuhilfenahme externer Hilfe- und Pflegeleistungen in der Lage ist, weiter in dem erworbenen Familienheim zu leben. Anders ist es nur, wenn bei schwerer Pflegebedürftigkeit die Unterstützungsleistungen ein solches Ausmaß annehmen, dass nicht mehr von einer selbstständigen Haushaltsführung in dem Familienheim gesprochen werden kann. Die regelmäßige Inanspruchnahme üblicher Dienste genügt dafür nicht. Entscheidend ist, ob der Erwerber den familiären Lebensraum noch aus im Wesentlichen eigener Kraft auszufüllen kann.

Die Feststellungslast für die Umstände, die eine Selbstnutzung des Familienheims objektiv unmöglich machen oder aus objektiven Gründen unzumutbar erscheinen lassen, trägt der Erwerber. Die X hat entsprechend ihrer Mitwirkungspflicht die weitere Sachaufklärung vor dem Finanzgericht zu unterstützen. Entscheidend wird dabei sein, ob X soweit auf die Hilfe Dritter angewiesen ist, dass es an einer selbstständigen Haushaltsführung fehlt.

Raucherpausen nicht verbucht: Kündigung ist rechtmäßig


Wer seine Raucherpause nicht verbucht, muss mit einer Kündigung rechnen. Diese ist nach einem Urteil des LAG Thüringen auch rechtmäßig. Wegen der schwerwiegenden Arbeitszeitmanipulation war sogar keine Abmahnung erforderlich.

 

Hintergrund

Die Klägerin war als Jobvermittlerin über 30 Jahre in einem Jobcenter der Arbeitsagentur beschäftigt. Dort gilt die Regelung, dass Beschäftigte die Arbeitszeit beim Betreten und Verlassen des Dienstgebäudes erfassen müssen, ebenso die Raucherpausen oder andere Pausen in der Kantine oder am Arbeitsplatz. 2019 ergaben Überprüfungen, dass die Klägerin an 3 Tagen in Folge keine einzige Pause gebucht hatte, allerdings ihre digitale Karte zum Betreten des Gebäudes mehrfach am Tag genutzt hatte. Der Arbeitgeber forderte sie auf, zu dieser möglichen Arbeitszeitmanipulation Stellung zu nehmen.

Die Klägerin gab daraufhin zu, dass sie in den genannten Zeiten Zigarettenpausen gemacht hatte, die sie als Raucherin benötige. Gleichzeitig versicherte sie, dass sie ab sofort ihre Raucherpausen korrekt aufzeichnen will. Der Arbeitgeber kündigte ihr daraufhin fristlos, hilfsweise fristgerecht. Nach Auffassung der Klägerin war die Kündigung nicht rechtmäßig. Hierzu brachte sie vor, dass "wilde Raucherpausen" jahrelang toleriert wurden, sodass eine betriebliche Übung entstanden war. Zudem war sie kein einziges Mal abgemahnt worden und aufgrund ihrer Nikotinsucht konnte der Arbeitgeber sie allenfalls krankheitsbedingt kündigen.

 

Entscheidung

Das Arbeitsgericht befand, dass es dem Arbeitgeber aufgrund der Tatsache, dass die Klägerin sich einsichtig gezeigt hatte, zuzumuten war, die Kündigungsfrist abzuwarten. Die fristlose Kündigung erklärte es daher für unwirksam. Die ordentliche Kündigung war wegen des Verstoßes gegen die Dokumentationspflichten aber rechtmäßig.

Das Landesarbeitsgericht musste nur noch über die Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung entscheiden. Aus Sicht des Gerichts war die Kündigung als verhaltensbedingte Kündigung wegen beharrlicher Verstöße gegen Dokumentationspflichten und des daraus folgenden Arbeitszeitbetrugs gerechtfertigt. Das wiederholte Nichtbuchen der Pausen und damit verbundene Erschleichen von bezahlter Freizeit stellte einen gravierenden Vertrauensbruch dar, der die Kündigung auch bei einer langjährigen Betriebszugehörigkeit rechtfertigte.

Verstoßen Arbeitnehmende gegen die Pflicht, ihre Arbeitszeit korrekt zu dokumentieren, ist dies eine schwerwiegende Pflichtverletzung, die den Arbeitgeber zur fristlosen Kündigung berechtigen kann. Wenn Mitarbeitende die Anordnung des Arbeitgebers, bei Raucherpausen auszustempeln, missachten, ist dies also kein Kavaliersdelikt, sondern ein Kündigungsgrund. Auch Nikotinsucht kann hier nicht als Rechtfertigung gelten.

Gilt die Einziehung von Geschäftsanteilen als Schenkung?


Werden GmbH-Anteile eingezogen, bewirkt dies eine Werterhöhung der Anteile der verbleibenden Gesellschafter. Dies gilt als Schenkung, und zwar auch dann, wenn es sich nicht um eine Zwangseinziehung von Anteilen handelt.

 

Hintergrund

X und 3 weitere Personen (A, B, C) waren Gesellschafter einer GmbH mit einer Stammeinlage von je 81.000 EUR. Nach dem Gesellschaftsvertrag war die Einziehung von Geschäftsanteilen mit Zustimmung des betroffenen Gesellschafters jederzeit zulässig, ohne Zustimmung war sie unter bestimmten Voraussetzungen möglich.

Mit notariellem Vertrag beschlossen die 4 Gesellschafter einstimmig die Einziehung des Geschäftsanteils des A zum 31.12.2007. Als Einziehungsvergütung hatte die GmbH an A 75.000 EUR in 75 gleichen Monatsraten zu zahlen. Die Nennbeträge der verbleibenden 3 Geschäftsanteile wurden jeweils um 27.000 EUR auf 108.000 EUR aufgestockt.

Nachdem das Betriebsstätten-Finanzamt der GmbH den Wert des eingezogenen Anteils mit 204.930 EUR gesondert festgestellt hatte, setzte das Finanzamt gegenüber einem der verbliebenen Gesellschafter (X) wegen der Werterhöhung seines GmbH-Anteils Schenkungsteuer fest. Es ermittelte den Unterschiedsbetrag zwischen dem festgestellten Anteilswert und der (abgezinsten) Einziehungsvergütung und berücksichtigte diesen Wert zu einem Drittel.

X war der Ansicht, als Schenkung gelten nur Zwangseinziehungen, die ohne Zustimmung des Gesellschafters erfolgten.

Das Finanzgericht folgte dem Finanzamt und wies die Klage ab. Der Begriff der Einziehung erfasst nicht nur die Zwangseinziehung eines Geschäftsanteils, sondern auch die Einziehung mit Zustimmung des Anteilsberechtigten.

 

Entscheidung

Der Bundesfinanzhof bestätigt die Auffassung des Finanzamts und des Finanzgerichts. Die Werterhöhung durch die Einziehung des Geschäftsanteils des A unterliegt bei X zu einem Drittel der Schenkungsteuer.

Wird auf Grund einer Regelung im Gesellschaftsvertrag einer GmbH der Geschäftsanteil eines Gesellschafters bei dessen Ausscheiden eingezogen und übersteigt der Wert seines Anteils zur Zeit seines Ausscheidens den Abfindungsanspruch, gilt die insoweit bewirkte Werterhöhung der Anteile der verbleibenden Gesellschafter als Schenkung des ausgeschiedenen Gesellschafters. Die Einziehung (Amortisation) bedarf stets einer Grundlage im Gesellschaftsvertrag. Sie ist aber auch ohne Zustimmung des Anteilsberechtigten (Zwangseinziehung) möglich.

Weder dem Wortlaut ("eingezogen") noch der Systematik oder dem Zweck des § 7 Abs. 7 Satz 2 ErbStG ist eine Beschränkung auf die Zwangseinziehung zu entnehmen. Mit einem derart engen Verständnis des § 7 Abs. 7 Satz 2 ErbStG verbliebe eine Gesetzeslücke, die die Vorschrift für Wertverschiebungen durch Ausscheiden eines Gesellschafters gerade schließen wollte. Die Lücke ergäbe sich daraus, dass § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG auf Einziehungen nicht anwendbar ist. Denn es fehlt an der erforderlichen Verschiebung der Vermögenssubstanz. Auch die Einziehung mit Zustimmung bewirkt keinen derivativen Erwerb des Anteils durch rechtsgeschäftliche Übertragung. Vielmehr führt sie bei zunächst unverändertem Stammkapital zur Vernichtung des Geschäftsanteils.

Die in § 7 Abs. 7 Satz 2 ErbStG enthaltene Wendung "auf Grund einer Regelung im Gesellschaftsvertrag" schränkt die Reichweite der Vorschrift nicht ein. Sie enthält keine Begrenzung auf bestimmte Regelungen im Gesellschaftsvertrag, etwa auf Regelungen zur Zwangseinziehung.

Altersvorsorgeberatung: Wann der Versicherungsvermittler wegen Falschberatung haftet


Versicherungsvermittler müssen bei der Beratung im Rahmen einer Rürup-Rente die persönliche Situation des Versicherungsnehmers berücksichtigen. Auch müssen sie darauf hinweisen, dass Anleger nicht vorzeitig an ihr Geld kommen. Sonst droht u. U. wegen Falschberatung eine Schadensersatzforderung des Anlegers.

 

Hintergrund

Der Kläger (41) stand gerade am Ende eines Privatinsolvenzverfahrens und war auf dem Sprung, sich selbstständig zu machen. Ein Versicherungsvermittler vermittelte ihm eine Rürup-Rente zur Altersvorsorge. Abgeschlossen wurde der Vertrag im Jahr 2010, die monatlichen Beiträge i. H. v. 200 EUR sollten bis zum Jahr 2036 gezahlt werden.

Infolge der speziellen Konstruktion und der steuerlichen Förderung der Rürup-Rente war ein Zugriff auf das eingezahlte Kapital vor Ablauf des Vertrags am 1.10.2036 nicht möglich.

Der Kläger zahlte eine Zeit lang die vereinbarten Beiträge. Nach 5 Jahren machte er geltend, dass er beim Abschluss des Vertrags falsch beraten worden war. Der Vermittler hatte ihn nicht darauf hingewiesen, dass er bis zum Zeitpunkt des Rentenbeginns nicht mehr an sein Geld kommt. Hätte er das gewusst, hätte er den Vertrag nicht abgeschlossen, so der Kläger.

Von der Versicherung verlangte er die Rückzahlung der bislang geleisteten Beiträge wegen Falschberatung. Doch diese stellte den Vertrag lediglich beitragsfrei.

 

Entscheidung

Das Oberlandesgericht gab dem Kläger Recht. Die Versicherungsgesellschaft und der Vermittler sind zum Schadensersatz verpflichtet, weil die Beratung des Vermittlers fehlerhaft war.

Konkret ist der Vermittler zum Schadensersatz i. H. v. 11.600 EUR verpflichtet, weil er seine Beratungspflichten verletzt hat.

Nach Auffassung des Gerichts lag keine ordnungsgemäße Beratungsdokumentation vor. Das führt dazu, dass die Beweislast für die Einhaltung der Dokumentationspflichten beim Versicherungsvermittler liegt.

Der Vermittler hat seine Beratungspflichten in 2-facher Hinsicht verletzt. Zum einen, weil er nicht darüber aufgeklärt habe, dass der Anleger nicht vorzeitig an sein Kapital kommt. Zum anderen, weil die Rürup-Rente keine geeignete Anlage für den Kläger war.

Der Hinweis zur fehlenden Möglichkeit, sich das angesparte Kapital vorzeitig auszahlen zu lassen, war eine grundlegende Information, über die der Versicherer bzw. der Versicherungsvertreter den Versicherungsnehmer vor Abschluss des Vertrags hätte aufklären müssen. Denn i. d. R. ist bei privaten Rentenversicherungsverträgen eine vorzeitige Auszahlung schon möglich. Die Rürup-Rente ist insoweit ein Spezialfall, weil hier gesetzliche Regelungen im Zusammenhang mit den gewährten Steuervorteilen dazu führten, dass eine vorzeitige Auszahlung nicht möglich ist.

Die zweite Pflichtverletzung des Vermittlers sah das Gericht darin, dass die Rürup-Rente für den eben aus der Privatinsolvenz kommenden Versicherten, der sich selbstständig machen wollte, kein geeignetes Vorsorge-Produkt war. Die wirtschaftliche Situation des Klägers war zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses mit vielen offenen Fragen behaftet gewesen.

Eine private Rentenversicherung, bei der sich der Versicherungsnehmer auf 26 Jahre festlegt und eine vorzeitige Rückzahlung der Beiträge nicht möglich war, ist nicht zweckmäßig gewesen.

Der Versicherer haftet für den Beratungsfehler des Versicherungsvermittlers gemeinsam mit diesem als Gesamtschuldner.

Entgeltlich bestellter Nießbrauch: Einkünfte oder Kaufpreiszahlungen?


Wenn der Eigentümer einem Dritten ein dingliches oder obligatorisches Nutzungsrecht einräumt, muss immer geprüft werden, ob und inwieweit der Eigentümer oder der Nutzungsberechtigte den Tatbestand der Einkünfteerzielung erfüllt oder ob es sich um Kaufpreiszahlungen für die Veräußerung einer Immobilie handelt.

 

Hintergrund

Der Kläger erzielte aus dem notariell beurkundeten Nießbrauchsvertrag v. 2.10.2008 über das Objekt D Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung. Laut Nießbrauchsvertrag wurde der Fa. AA GmbH & Co. B KG ("KG") ein Nießbrauch an dem Objekt bestellt. Als Gegenleistung verpflichtete sich diese dazu, den Kläger von der Zahlung von Zins und Tilgung aus einer Darlehensverbindlichkeit gegenüber der Bank freizustellen. Das Finanzamt setzte die vom Nießbraucher zu zahlenden Beträge als Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung an. Als Ausgaben berücksichtigte es die AfA und die vom Kläger getragenen Kosten (Zinszahlungen).

Der Kläger war der Ansicht, dass es sich rechtlich nicht um laufende Zahlungen der KG für die zeitlich befristete Einräumung eines Nießbrauchs, sondern um Kaufpreiszahlungen für die Veräußerung der Immobilie handelte. Denn im Notarvertrag war Frau H ein Ankaufsrecht am Grundstück eingeräumt worden und das wirtschaftliche Eigentum demzufolge bereits am 2.10.2008 auf die KG übergegangen. Dem folgte das Finanzamt nicht.

 

Entscheidung

Die Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht entschied, dass der Kläger aus entgeltlichem Nießbrauch aus dem Objekt D Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung erzielt hat. Ist das zugewendete Nutzungsrecht wie hier der Nießbrauch entgeltlich bestellt, hat der Eigentümer das für die Bestellung gezahlte Entgelt grundsätzlich im Jahr des Zuflusses bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung zu erfassen. Die dingliche Natur des Rechts steht der Zurechnung des Entgelts zu den Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung nicht entgegen, da die Begriffe Vermietung und Verpachtung einkommensteuerrechtlich weit auszulegen sind und auch wirtschaftlich vergleichbare Nutzungsüberlassungen einschließen.

Übt allerdings ein anderer als der Eigentümer die tatsächliche Herrschaft über ein Wirtschaftsgut in der Weise aus, dass er den Eigentümer im Regelfall für die gewöhnliche Nutzungsdauer von der Einwirkung auf das Wirtschaftsgut wirtschaftlich ausschließen kann, so ist ihm das Wirtschaftsgut zuzurechnen. Ein wirtschaftlicher Ausschluss des zivilrechtlichen Eigentümers wird von der Rechtsprechung angenommen, wenn der Herausgabeanspruch des Eigentümers keine wirtschaftliche Bedeutung mehr hat oder wenn dem Eigentümer überhaupt kein Herausgabeanspruch mehr zusteht. Ob diese Voraussetzungen vorliegen, ist nach dem Gesamtbild der Verhältnisse im jeweiligen Einzelfall zu beurteilen.

Hiernach kann ein Wirtschaftsgut einem anderen als dem zivilrechtlichen Eigentümer zuzurechnen sein, wenn es ihm aufgrund eines "Mietkaufvertrags" überlassen wird. Darunter versteht man Vereinbarungen, in denen Elemente eines Mietvertrags mit denen eines Kaufvertrags verbunden sind. Diese Verträge können so gestaltet sein, dass sie bei wirtschaftlicher Bewertung von Anfang an als Kaufverträge anzusehen sind. Maßgebend ist, ob die Vertragsbedingungen so ausgestaltet sind, dass der Mieter vernünftigerweise keine andere Wahl hat, als von seinem Ankaufsrecht Gebrauch zu machen, sodass der Mieter von Anfang an daran interessiert ist, Eigentum zu erwerben. Wesentliche Kriterien sind Übergang von Besitz, Gefahr, Nutzungen und Lasten auf den Mietkäufer.

Vorliegend waren die Vertragsbedingungen nicht so ausgestaltet, dass der Nießbraucher keine andere Wahl hatte, als von seinem Ankaufsrecht Gebrauch zu machen. Die KG als Nießbrauchsberechtigte konnte nicht wählen. Ihr ist keine Kaufoption eingeräumt worden. Das Ankaufsrecht war Frau H eingeräumt worden, die aber nicht Nießbraucherin war. Nießbraucher (KG) und Käufer (Frau H) waren nicht personenidentisch.

Zuschüsse des Arbeitgebers zu den sog. 9-Euro-Tickets


Für die lohnsteuerliche Behandlung von Zuschüssen des Arbeitgebers zu den Aufwendungen des Arbeitnehmers für den öffentlichen Personennahverkehr während der Gültigkeitsdauer des sog. 9-Euro-Tickets gelten folgende Grundsätze:

 

1. Zuschüsse

Zuschüsse, die Arbeitgebern ihren Arbeitnehmern zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn zu den Aufwendungen für Tickets für öffentliche Verkehrsmittel gewähren, sind hinsichtlich der Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 15 EStG auf die Höhe der Aufwendungen des Arbeitnehmers beschränkt.

Für die Monate Juni, Juli und August 2022 wird es aus Vereinfachungsgründen nicht beanstandet, wenn Zuschüsse des Arbeitgebers die Aufwendungen des Arbeitnehmers für Tickets für öffentliche Verkehrsmittel im Kalendermonat übersteigen, soweit die Zuschüsse die Aufwendungen bezogen auf das Kalenderjahr 2022 insgesamt nicht übersteigen (Jahresbetrachtung).

Werden auf das Kalenderjahr 2022 bezogen insgesamt höhere Zuschüsse gezahlt, als der Arbeitnehmer Aufwendungen hatte, ist der Differenzbetrag steuerpflichtiger Arbeitslohn.

 

2. Arbeitgeberbescheinigung

Die steuerfreien Arbeitgeberleistungen mindern den als Entfernungspauschale abziehbaren Betrag und sind vom Arbeitgeber zu bescheinigen. Bescheinigt werden müssen die gesamten nach § 3 Nr. 15 EStG steuerfreien Arbeitgeberzuschüsse im Kalenderjahr.

 

Quelle:

BMF-Schreiben vom 30.05.2022 – IV C 5 – S 2351/19/10002 :007 (DStR 2022 S. 1113)

Fahrtkosten bei Studium


Nach einem BMF-Schreiben vom 25.11.2020 liegt ein Vollzeitstudium oder eine vollzeitige Bildungsmaßnahme insbesondere vor, wenn der Steuerpflichtige im Studium oder in der Bildungsmaßnahme für einen Beruf ausgebildet wird und daneben entweder

            keiner Erwerbstätigkeit nachgeht

            oder

            während der gesamten Dauer des Studiums oder der Bildungsmaßnahme eine Erwerbstätigkeit mit durchschnittlich bis zum 20 Stunden regelmäßiger
            wöchentlicher Arbeitszeit oder in Form eines geringfügigen Beschäftigungsverhältnisses i. S. der §§ 8 und 8 a SGB IV ausübt.

Im Streitfall folgerte das Finanzamt daraus, dass bei den Fahrtkosten zwischen Wohnung und Universität von einer ersten Tätigkeitsstätte auszugehen sei und somit nur die Entfernungspauschale berücksichtigt werden könne, weil das Teilzeitstudium des Steuerpflichtigen wegen der Erwerbslosigkeit des Steuerpflichtigen als Vollzeitstudium anzusehen sei.

Ein Finanzgericht entschied dies abweichend:

„Ein Studium oder eine Bildungsmaßnahme ist auch in Zeiten einer Erwerbslosigkeit des Steuerpflichtigen nicht notwendig mit der Folge als Vollzeitstudium oder vollzeitige Bildungsmaßnahme zu qualifizieren, dass die steuerliche Berücksichtigung von Fahrtkosten auf die Entfernungspauschale begrenzt ist (entgegen Tz. 34 des BMF-Schreibens vom 25.11.2020, BStBl. I 2020 S 1228).“

In entsprechenden Fällen sollten Steuerbescheide im Hinblick auf die zugelassene Revision angefochten werden.

 

Quelle:

Niedersächsisches FG, Urteil vom 16.02.2022, Az. 4 K 113/20

Revision eingelegt; Az. BFH: VI R 7/22 (EFG 2022 S. 841)

Dunkle Kleidung eines Trauerredners ist keine typische Berufskleidung


Aufwendungen für bürgerliche Kleidung sind als Kosten der Lebensführung grundsätzlich nicht abziehbar. Sie sind nur dann als Betriebsausgaben zu berücksichtigen, wenn es sich um "typische Berufskleidung" handelt.

 

Hintergrund

Die Kläger werden als Ehegatten für die Jahre 2008 bis 2010 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger war als selbstständiger Trauerredner und Trauerbegleiter tätig. Die Klägerin war bis September 2008 als Trauerrednerin selbstständig tätig. Danach war sie im Betrieb des Klägers als Angestellte nichtselbstständig tätig. Die Klägerin und der Kläger machten bei der Gewinnermittlung Aufwendungen für die Anschaffung, Änderung, Reparatur und Reinigung von Kleidung (u. a. Anzüge, Hemden, Röcke, Kleider, Mäntel, Blusen, Pullover, Hosen, Jacken, Krawatten, Schals, Schuhe) als Betriebsausgaben geltend.

Das Finanzamt war der Auffassung, dass die Aufwendungen nicht als Betriebsausgaben abziehbar sind.

Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg.

 

Entscheidung

Der Bundesfinanzhof entschied wie das Finanzgericht, dass Aufwendungen für bürgerliche Kleidung als unverzichtbare Aufwendungen der Lebensführung grundsätzlich nicht als Betriebsausgaben abziehbar und nicht aufteilbar sind.

Aufwendungen sind als Betriebsausgaben abzuziehen, wenn sie durch die Einkünfteerzielung veranlasst sind. Eine solche Veranlassung ist jedoch nicht gegeben, wenn es sich um unverzichtbare Aufwendungen für die Lebensführung handelt.

Zwar ließen sich theoretisch auch Aufwendungen etwa für bürgerliche Kleidung, für eine Brille oder für eine Armbanduhr bei feststehender Arbeitszeit aufteilen. Derartige Aufwendungen sind aber, wenn sie nach den Vorschriften über das steuerliche Existenzminimum als Sonderausgaben oder als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen sind, grundsätzlich vom Abzug ausgeschlossen, um eine doppelte Berücksichtigung zu vermeiden. Insoweit scheidet eine Aufteilung der Aufwendungen in abziehbare Werbungskosten oder Betriebsausgaben einerseits und nicht abziehbare Aufwendungen für die private Lebensführung andererseits aus.

Der Gesetzgeber hat in § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 6 EStG geregelt, dass Aufwendungen für typische Berufskleidung als Werbungskosten abziehbar sind. Die Vorschrift ist entsprechend im Rahmen des Betriebsausgabenabzugs anzuwenden. Vorliegend handelt es jedoch nicht um Aufwendungen für typische Berufskleidung, sondern für Kleidung, deren Benutzung als normale bürgerliche Kleidung im Rahmen des Möglichen und Üblichen liegt bzw. die gewöhnlich privat getragen werden kann.

Typische Berufskleidung umfasst daher nur Kleidungsstücke, die nach ihrer Beschaffenheit objektiv nahezu ausschließlich für die berufliche Nutzung bestimmt und geeignet und wegen der Eigenart des Berufs nötig sind bzw. bei denen die berufliche Verwendungsbestimmung bereits aus ihrer Beschaffenheit entweder durch ihre Unterscheidungsfunktion, wie z. B. bei Uniformen oder durch dauerhaft angebrachte Firmenembleme oder durch ihre Schutzfunktion – wie bei Schutzanzügen, Arbeitsschuhen o. Ä. – folgt.

Erwerb einer gemischt genutzten Photovoltaikanlage und umsatzsteuerliche Zuordnung


Hat ein Steuerpflichtiger im Lauf des Jahres, in dem er eine Photovoltaikanlage erworben hat, einen Vertrag mit dem Recht zum Weiterverkauf des gesamten von der Anlage erzeugten Stroms zuzüglich Umsatzsteuer abgeschlossen, ist dies ein Indiz dafür, dass er die Photovoltaikanlage dem Unternehmen voll zugeordnet hat.

 

Hintergrund

Der Kläger erwarb im Jahr 2014 eine Photovoltaikanlage. Den seit 22.9.2014 erzeugten Strom verbrauchte er teilweise selbst, teilweise speiste er ihn in das Stromnetz des Netzbetreibers X ein.

Der Einspeisevertrag mit X vom 25.9.2014 sieht für den gelieferten Strom eine Vergütung pro kWh zuzüglich Umsatzsteuer vor. Entsprechend wurden in einer Gutschrift des X vom 19.1.2015 die im Streitjahr ausgeführten Stromlieferungen des Klägers an X abgerechnet.

Gegenüber dem Finanzamt gab der Kläger zunächst weder Umsatzsteuer-Voranmeldungen noch sonstige Erklärungen zu den Ausgangs- und Eingangsumsätzen aus dem Betrieb der Photovoltaikanlage sowie den unentgeltlichen Wertabgaben ab. Am 29.2.2016 reichte er eine Umsatzsteuererklärung für das Jahr 2014 ein und zog darin u. a. die in der Rechnung für den Erwerb der Photovoltaikanlage vom 11.9.2014 offen ausgewiesene Umsatzsteuer als Vorsteuer ab.

Das Finanzamt versagte den Vorsteuerabzug für die Photovoltaikanlage, weil der Kläger nicht rechtzeitig, also bis zum 31.5. des Folgejahres, eine Zuordnungsentscheidung getroffen hatte. Das Finanzamt machte als Folge hiervon auch den Ansatz der unentgeltlichen Wertabgabe rückgängig. Es setzte mit Umsatzsteuer-Änderungsbescheid für das Jahr 2014 die Umsatzsteuer entsprechend höher fest. Der Einspruch und die Klage vor dem Finanzgericht blieben erfolglos.

 

Entscheidung

Der Bundesfinanzhof hält die Revision des Klägers für begründet. Das Finanzgericht ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass dem Kläger der begehrte Vorsteuerabzug nicht zusteht, weil er die erforderliche Zuordnungsentscheidung nicht gegenüber dem Finanzamt innerhalb der Zuordnungsfrist mitgeteilt hat. Der Kläger hat die Photovoltaikanlage rechtzeitig voll seinem Unternehmen zugeordnet.

Bei Bezug eines einheitlichen Gegenstands, der gemischt verwendet werden soll, steht dem Unternehmer ein Zuordnungswahlrecht zu: Er kann den Gegenstand insgesamt seinem Unternehmen zuordnen oder in vollem Umfang in seinem Privatvermögen belassen oder den Gegenstand entsprechend dem unternehmerischen Nutzungsanteil seinem Unternehmen zuordnen.

Steht anhand objektiver Anhaltspunkte, die innerhalb der Zuordnungsfrist erkennbar geworden sind, fest, dass der Steuerpflichtige einen Gegenstand dem Unternehmen zugeordnet hat, ist es nicht zusätzlich erforderlich, dass er die erfolgte Zuordnung der Finanzverwaltung innerhalb dieser Frist mitteilt. Die Dokumentation der Zuordnung erfordert keine Mitteilung gegenüber der Finanzbehörde.

Danach steht also dem Vorsteuerabzug des Klägers nicht entgegen, dass er seine im Jahr 2014 erfolgte Zuordnung zum Unternehmen erst am 29.2.2016 dem Finanzamt mitgeteilt hat.

Eine Zuordnung liegt vor. Diese Zuordnung erfolgte in vollem Umfang und nicht nur teilweise. Die konkludente Zuordnung durch Abschluss des Einspeisevertrags vom 25.9./26.9.2014 als Indiz erfasst die Photovoltaikanlage insgesamt.

Ratenweise Bezahlung einer Vermittlungsleistung in den Folgejahren: Wann entsteht die Steuer?


Wird eine ratenweise Bezahlung einer Vermittlungsleistung in den Folgejahren vereinbart, begründet dies keine Uneinbringlichkeit i. S. v. § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG.

 

Hintergrund

Die T-GmbH (Auftraggeberin) hatte die X (Auftragnehmerin) beauftragt, im Rahmen eines Grundstückskaufs zu vermitteln. X war von Januar bis September 2012 tätig. Der Grundstückskaufvertrag wurde im Jahr 2012 abgeschlossen. Vereinbart war ein Honorar von netto 1 Mio. EUR, das in 5 Teilbeträgen von netto 200.000 EUR im Abstand von jeweils einem Jahr gezahlt werden sollte. Der erste Teilbetrag war am 30.6.2013 fällig. X erstellte jeweils zum Fälligkeitszeitpunkt Rechnungen über die Teilbeträge und versteuerte entsprechend der Vereinnahmung beginnend im Jahr 2013.

Das Finanzamt ging davon aus, dass X aufgrund der im Jahr 2012 erbrachten Vermittlungsleistung das gesamte Vermittlungshonorar bereits im Jahr 2012 zu versteuern hatte.

Das Finanzgericht gab der Klage überwiegend statt. Im Jahr 2012 war lediglich der im Folgejahr (Juni 2013) fällige erste Teilbetrag von 200.000 EUR zu erfassen. Im Übrigen war wegen der hinausgeschobenen Fälligkeit über mehr als 2 Veranlagungszeiträume von einer Uneinbringlichkeit nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG auszugehen.

 

Entscheidung

Der Bundesfinanzhof hob das Finanzgerichtsurteil auf und verwies die Sache an das Finanzgericht zurück. Es liegt keine Uneinbringlichkeit i. S. v. § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG vor.

Die Nichtbezahlung eines Teilbetrags der Vergütung vor seiner Fälligkeit bei Vorliegen einer Ratenzahlungsvereinbarung ist nicht als Nichtbezahlung des Preises einzustufen. Sie mindert deshalb nicht die Bemessungsgrundlage. Eine vor ihrem Zahlungstermin nicht fällige Honorarrate ist nicht gleichzusetzen mit der nur teilweisen Erfüllung der bestehenden Forderung.

Dem schließt sich der Bundesfinanzhof für die Auslegung des Begriffs der Uneinbringlichkeit in § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG an. Die Uneinbringlichkeit liegt somit nicht bereits aufgrund der Vereinbarung einer Ratenzahlung vor. Damit erweist sich das Urteil des Finanzgerichts, wonach bei einer hinausgeschobenen Fälligkeit über mehr als 2 Besteuerungszeiträume Uneinbringlichkeit anzunehmen ist, als unzutreffend.

§ 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Satz 2 UStG ordnet eine Steuerentstehung mit Leistungsausführung auch für Teilleistungen an. Teilleistungen liegen nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Satz 3 UStG vor, wenn für bestimmte Teile einer wirtschaftlich teilbaren Leistung das Entgelt gesondert vereinbart wird.

Im Streitfall ist offen, ob die Voraussetzungen für eine Teilleistung vorliegen. Zwar ist das Finanzgericht von einer nur "einmaligen Leistung" ausgegangen. Das Finanzgericht hat dies damit begründet, dass eine abweichende Auslegung der Honorarvereinbarung, wie die X dies mit einer nachträglich gefertigten Ergänzungsvereinbarung erreichen möchte, nicht in Betracht kommt. Denn aus dieser ergibt sich nicht, ob die darin getroffenen Vereinbarungen bereits zum Zeitpunkt der ursprünglichen Honorarvereinbarung bestanden haben. Damit käme es zur Steuerentstehung nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Satz 1 UStG (Sollbesteuerung).

Diese Würdigung ist aber für den Senat nicht bindend, da die X als Revisionsbeklagte hierzu eine zulässige und begründete Verfahrensgegenrüge erhoben hat.

Das Finanzgericht wird neben der Auslegung der schriftlich abgeschlossenen Vereinbarungen auch zusätzliche Erkenntnisse aus einer weitergehenden Beweiserhebung berücksichtigen müssen.

Gemischt genutzte Gebäude und teilweiser Vorsteuerabzug für ein Arbeitzimmer


Wird bei einem Gebäude in den Bauantragsunterlagen ein Zimmer als Arbeitszimmer bezeichnet, kann dies für eine Zuordnung zum Unternehmen sprechen. Das gilt jedenfalls dann, wenn dies durch weitere objektive Anhaltspunkte untermauert wird.

 

Hintergrund

Der Kläger betreibt als Einzelunternehmer einen Gerüstbaubetrieb. Im Jahr 2014 plante er die Errichtung eines Einfamilienhauses. In dem vom Planungsbüro erstellten Grundriss vom 29.7.2014 ist ein 16,57 qm großer Raum im Erdgeschoss mit "Arbeiten" bezeichnet. Die "Nettogrundfläche gesamt" des Gebäudes ist mit 181,3 qm angegeben.

Der Kläger reichte im Streitjahr beim Finanzamt monatliche Umsatzsteuer-Voranmeldungen ein. Einen Vorsteuerabzug aus den Eingangsleistungen zur Errichtung des Gebäudes machte er darin nicht geltend.

Erstmals in der am 28.9.2016 beim Finanzamt eingegangenen Umsatzsteuererklärung für 2015 machte er für die Errichtung dieses Zimmers anteilig den Vorsteuerabzug geltend. Mit Schreiben vom 27.2.2017 ergänzte der Kläger, dass der unternehmerische Nutzungsanteil nicht wie bisher angenommen 8,91 %, sondern 10,28 % betragen habe. Die abziehbare Vorsteuer erhöhte sich daher.

Das Finanzamt verweigerte den Vorsteuerabzug. Erstens hatte der Kläger das Gebäude nicht zeitnah dem Unternehmen zugeordnet und zweitens war der Vorsteuerabzug ausgeschlossen, da die unternehmerische Nutzung des Gebäudes weniger als 10 % beträgt. Das Finanzamt setzte mit Bescheid vom 5.4.2017 die Umsatzsteuer für 2015 fest, ohne einen Vorsteuerabzug für das mit "Arbeiten" bezeichnete Zimmer zuzulassen.

Das Finanzgericht wies die Klage ab.

 

Entscheidung

Der Bundesfinanzhof hält die Revision für begründet. Das Finanzgericht hat zu Unrecht angenommen, dass eine zeitnahe Dokumentation der Zuordnungsentscheidung nur dann vorliegt, wenn diese bis zum 31. Mai des Folgejahres dem Finanzamt gegenüber abgegeben wird. Die Vorentscheidung ist deshalb aufzuheben. Allerdings ist die Sache nicht spruchreif, da die tatsächlichen Feststellungen des Finanzgerichts nicht ausreichen, um abschließend zu entscheiden.

Für die Dokumentation der Zuordnung ist keine fristgebundene Mitteilung an die Finanzbehörde erforderlich. Liegen innerhalb der Dokumentationsfrist nach außen hin objektiv erkennbare Anhaltspunkte für eine Zuordnung vor, können diese der Finanzbehörde auch noch nach Ablauf der Frist mitgeteilt werden.

Für eine Zuordnung zum Unternehmen kann bei Gebäuden die Bezeichnung eines Zimmers als Arbeitszimmer in Bauantragsunterlagen jedenfalls dann sprechen, wenn dies durch weitere objektive Anhaltspunkte untermauert wird. So ist es z. B. dann, wenn der Unternehmer für seinen Gerüstbaubetrieb einen Büroraum benötigt, er bereits in der Vergangenheit kein externes Büro, sondern einen Raum seiner Wohnung für sein Unternehmen verwendet hat, und er beabsichtigt, dies in dem von ihm neu errichteten Gebäude so beizubehalten.

Anhand der tatsächlichen Feststellungen des Finanzgerichts kann vom Bundesfinanzhof allerdings nicht entschieden werden, ob der Kläger die Zuordnung der Eingangsleistungen des Streitjahres 2015 zum Unternehmen rechtzeitig, d. h. bis zum 31. Mai des Folgejahres, konkludent vorgenommen hat. Entgegen der Auffassung des Finanzgerichts kann sich aus den Bauplänen vom 29.7.2014 eine Zuordnung ergeben, soweit zu den Bauplänen weitere Umstände hinzutreten.

Zur Berichtigung der als Vorsteuer abgezogenen Einfuhrumsatzsteuer bei Insolvenzanfechtung


Das Recht auf Vorsteuerabzug entsteht, wenn die Einfuhrumsatzsteuer entstanden ist. Korrespondierend dazu wird der Vorsteuerabzug berichtigt, wenn die Einfuhrumsatzsteuer erstattet wird. Mit "erstattet" ist der tatsächliche Vorgang der Rückzahlung gemeint.

 

Hintergrund

Nach Stellung eines Insolvenzantrags für die Klägerin im Januar 2019 wurde der Rechtsanwalt N vom Amtsgericht zum vorläufigen Sachwalter mit Eigenverwaltung der Klägerin über ihr Vermögen bestellt. Die Klägerin brachte an das Hauptzollamt bezahlte Einfuhrumsatzsteuer für Januar und Februar 2019 als Vorsteuer beim Finanzamt in Abzug. Im April 2019 wurde über das Vermögen der Klägerin das Insolvenzverfahren mit Eigenverwaltung eröffnet. Der wieder als Sachverwalter bestellte Rechtsanwalt N zog die Kassenführung nicht an sich. Nach Insolvenzeröffnung erstattete das Hauptzollamt die angefochtene Einfuhrumsatzsteuer im Oktober 2019 an die Insolvenzmasse zurück. Auf die nachfolgend vom Hauptzollamt als Forderung zur Insolvenztabelle angemeldete Einfuhrumsatzsteuer erfolgten keine Zahlungen. Daraufhin kürzte das Finanzamt den Vorsteuerabzug der Klägerin für Oktober 2019 in Höhe der zurückerstatteten Einfuhrumsatzsteuer.

Nach Auffassung der Klägerin führt jedoch die insolvenzrechtliche Anfechtung mit entsprechender Rückzahlung der Einfuhrumsatzsteuer nicht zu einer Vorsteuerkorrektur.

 

Entscheidung

Die Klage hatte keinen Erfolg. Nach Auffassung des Finanzgerichts hat das Finanzamt zu Recht die Vorsteuerberichtigung vorgenommen, weil der Klägerin die zuvor als Vorsteuer in Abzug gebrachte Einfuhrumsatzsteuer erstattet worden ist.

Der Unternehmer muss den Vorsteuerabzug berichtigen, falls die als Vorsteuer abgezogene Einfuhrumsatzsteuer herabgesetzt, erlassen oder erstattet worden ist. Ein solcher Faktor ist auch die Rückerstattung der als Vorsteuer in Abzug gebrachten Einfuhrumsatzsteuer. Der Begriff "erstattet" i. S. d. § 17 Abs. 3 Satz 1 UStG ist unionsrechtskonform dahin auszulegen, dass der tatsächliche Vorgang der Rückzahlung gemeint ist. Der Begriff "erstattet" bedeutet danach "Rückgewährung" oder "Rückzahlung". Der Grund für die Erstattung ist dem Begriff selbst nicht zu entnehmen.

Im Übrigen darf wegen des Grundsatzes der "steuerlichen Neutralität" in der Mehrwertsteuersystemrichtlinie der Unternehmer nicht durch doppelte Entlastung von der Umsatzsteuer bzw. Einfuhrumsatzsteuer gegenüber seinen Wettbewerbern übervorteilt werden. § 17 Abs. 3 Satz 1 UStG bezweckt grundsätzlich, das Gleichgewicht zwischen Steuer und Vorsteuer zu gewährleisten. Das Recht auf Vorsteuerabzug entsteht, wenn die Einfuhrumsatzsteuer entstanden ist. Hierdurch wird erreicht, dass der Unternehmer von der Belastung mit Umsatzsteuer auf der Eingangsseite entlastet wird. Nach der damit korrespondierenden Regelung des § 17 Abs. 3 Satz 1 UStG wird der Vorsteuerabzug berichtigt, wenn die Einfuhrumsatzsteuer erstattet wird. Denn wenn die Belastung mit der Einfuhrumsatzsteuer entfällt, ist auch die Entlastung rückgängig zu machen. Auf die Gründe für die Herabsetzung, den Erlass oder die Erstattung kommt es nicht an. Die Vergütung der Vorsteuer bezweckt die Entlastung von einer Belastung, nicht die Bereicherung des Unternehmers.

Tätigkeit als Museumsführer kann von der Umsatzsteuer befreit sein


Bei einem Museum, das nur in Begleitung eines Gästeführers besucht werden darf, ist die Führung der Museumsgäste eine typische Museumsleistung. Diese wird deshalb von der Steuerbefreiung des § 4 Nr. 20 Buchst. a UStG für die Leistungen eines Museums erfasst.

 

Hintergrund

X ist u. a. als Gästeführer in einem Museum tätig. Das Museum ist ausschließlich über Gruppenführungen begehbar. Auftraggeber des X ist eine gemeinnützige Stiftung, die das Museum betreibt und dabei steuerfreie Umsätze i. S. d. § 4 Nr. 20 Buchst. a UStG an die Museumsbesucher erbringt.

Die zuständige Bezirksregierung hat X für 2010 bis 2013 nach § 4 Nr. 20 Buchst. a Satz 2 UStG bescheinigt, dass er als Museumsführer die gleichen kulturellen Aufgaben erfülle wie vergleichbare Einrichtungen in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft. In den Bescheinigungen wird darauf hingewiesen, dass die Entscheidung darüber, ob es sich bei X um eine "gleichartige Einrichtung" i. S. d. § 4 Nr. 20 Buchst. a Satz 2 UStG handelt, der Finanzverwaltung obliegt.

Dem Antrag des X, seine Umsätze als Gästeführer im Museum umsatzsteuerfrei zu belassen, folgte das Finanzamt jedoch nicht. Ein Museum betreiben kann nur der dazu Berechtigte. Das sei hier nicht X, sondern die Stiftung.

Das Finanzgericht gab der Klage statt und entschied, dass die Umsätze steuerfrei sind.

 

Entscheidung

Der Bundesfinanzhof bestätigte das stattgebende Finanzgerichtsurteil und entschied, dass X als eine dem Museum gleichartige Einrichtung nach § 4 Nr. 20 Buchst. a Satz 2 UStG von der Umsatzsteuer befreit ist.

Der Begriff "Einrichtung" umfasst auch natürliche Personen und private Einheiten mit Gewinnerzielungsabsicht. Die Prüfung der Gleichartigkeit der kulturellen Einrichtung obliegt zwar den Finanzbehörden und Finanzgerichten. Indes ist der Inhalt der Bescheinigung auch für den Begriff der Gleichartigkeit in § 4 Nr. 20 Buchst. a Satz 1 UStG mit heranzuziehen. Wenn sich aus der Bescheinigung ergibt, dass der Inhaber die gleichen kulturellen Aufgaben wie eine Einrichtung i. S. d. § 4 Nr. 20 Buchst. a Satz 1 UStG erfüllt oder beide bei der Erbringung der befreiten Leistung zusammenwirken, ist die Leistung des Inhabers der Bescheinigung gleichartig.

Hiervon ausgehend sind die Leistungen des X nach § 4 Nr. 20 Buchst. a Satz 2 UStG steuerfrei. Die Gleichartigkeit seiner Leistungen liegt vor, da das Museum ausschließlich im Rahmen der von X und den anderen Gästeführern durchgeführten Führungen zugänglich ist. X ist damit unmittelbarer und unverzichtbarer Bestandteil der kulturellen Leistung des Museums. Ohne Gästeführer gab es im Streitfall keine Museumsbesichtigung.

Hotel-Zusatzleistungen: Welcher Umsatzsteuersatz gilt?


Für Leistungen, die nicht unmittelbar der Vermietung dienen, gilt nicht der ermäßigte Steuersatz, auch wenn diese Leistungen mit dem Entgelt für die Vermietung abgegolten sind. Bezüglich dieses Aufteilungsgebots ist ernstlich zweifelhaft, ob es mit Unionsrecht vereinbar ist.

 

Hintergrund

Die X-GmbH betreibt ein Hotel. In der Umsatzsteuer-Erklärung 2017 ging sie davon aus, dass Übernachtung, Frühstück und Spa eine einheitliche Leistung zum ermäßigten Steuersatz von 7 % ist.

Das Finanzamt vertrat dagegen die Auffassung, dass es sich um jeweils eigenständige Leistungen handelte, von denen die Übernachtung dem ermäßigten (7 %) und Frühstück sowie Spa dem Regelsteuersatz (19 %) zu unterwerfen sind.

Hiergegen legte die X Einspruch ein, über den noch nicht entschieden ist. Zugleich beantragte sie beim Finanzamt die Aussetzung der Vollziehung (AdV) des Umsatzsteuer-Bescheids.

Das Finanzamt lehnte die AdV ab. Auch hiergegen legte die X Einspruch ein, über den ebenfalls noch nicht entschieden ist.

X beantragte darauf AdV beim Finanzgericht, das den Antrag ablehnte. An der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Umsatzsteuer-Bescheids 2017 bestanden seiner Ansicht nach keine ernstlichen Zweifel. Das Aufteilungsgebot ist unionsrechtskonform. Auch eine unbillige Härte ist nicht erkennbar.

Gegen die Entscheidung des Finanzgerichts wendet sich X mit einer Beschwerde.

 

Entscheidung

Der Bundesfinanzhof bejahte die ernstlichen Zweifel am Aufteilungsgebot für Hotelübernachtungen mit Zusatzleistungen. Damit war die Beschwerde für das Jahr 2017 begründet. Der Bundesfinanzhof setzte die Vollziehung des Umsatzsteuer-Änderungsbescheids 2017 bis zum Ablauf eines Monats nach Zustellung einer Entscheidung im Einspruchsverfahren aus.

Frühstück und Spa gehören bisher zu den Leistungen, die nicht unmittelbar der Vermietung dienen und deshalb von der Steuersatzermäßigung ausgenommen sind. Dies gilt auch, soweit diese weiteren Leistungen als Nebenleistungen zu der ermäßigt zu besteuernden Übernachtungsleistung, der Hauptleistung, erbracht werden. Das Aufteilungsgebot für Leistungen, die nicht unmittelbar der Vermietung dienen, wurde vom Bundesfinanzhof bisher als unionsrechtskonform angesehen.

Nach Ergehen des EuGH-Urteils Stadion Amsterdam sieht der Bundesfinanzhof es als fraglich an, ob an dieser Rechtsprechung festzuhalten ist. Der EuGH hat dort entschieden, dass eine einheitliche Leistung, die aus 2 separaten Bestandteilen (Haupt- und einem Nebenbestandteil) besteht, nur zu dem für den Hauptbestandteil geltenden Mehrwertsteuersatz zu besteuern ist, und zwar auch dann, wenn der Preis jedes Bestandteils bestimmt werden kann. Hieraus könnte für das Aufteilungsgebot folgen, dass bei unselbstständigen Nebenleistungen die gesamte einheitliche Leistung dem ermäßigten Steuersatz der Hauptleistung "Übernachtung" zu unterwerfen ist.

Angesichts dieser ungeklärten und umstrittenen Rechtslage ist die beantragte AdV zu gewähren. Ist die Rechtslage nicht eindeutig, ist über die zu klärenden Fragen grundsätzlich nicht im summarischen Beschlussverfahren der AdV zu entscheiden. Die Klärung muss vielmehr dem Hauptsacheverfahren, d. h. im Rahmen einer noch zu erhebenden Klage, vorbehalten bleiben.

Beherbergung und Verköstigung: Kinder auf einem Reiterhof und die Umsatzsteuer


Reitkurse für Jugendliche und Kinder auf Reiterhöfen können umsatzsteuerfrei sein, wenn diese den Kursteilnehmern den unmittelbaren Berufseinstieg in den Turniersport ermöglichen. Ansonsten, z. B. bei Reitunterricht im Rahmen einer Klassenfahrt, liegen steuerpflichtige Umsätze vor.

 

Hintergrund

Die Klägerin führte auf einem Reiterhof während der Schulferien Reitkurse für Kinder und Jugendliche durch und beherbergte und beköstigte die aufgenommenen Teilnehmer. Ziel der 1-wöchigen sog. Ponykurse war das altersgerechte Erlernen des Umgangs mit den Ponys mit Reitunterricht. Von den Kursteilnehmern nahmen ca. 30 % bis 40 % an den Prüfungen für ein sog. Motivationsabzeichen teil.

Von den Teilnehmern mit bereits vorhandener Reiterfahrung an den 1- bis 2-wöchigen großen Pferdekursen mit Spring-, Dressur- und Theorieunterricht nahmen am Kursende 60 % bis 70 % an den Leistungsabzeichen-Prüfungen teil. Die Leistungsabzeichen berechtigten u. a. zum Einstieg in den Turniersport.

Die 1-wöchigen Kursprogramme für Schulklassen für Kinder von 9 bis 12 Jahren mit Reit- und Theorieunterricht zielte darauf ab, den Kindern den häufig erstmaligen Kontakt mit Pferden zu ermöglichen. Reitabzeichen wurden insoweit nicht abgenommen. Das Finanzamt ging insgesamt nicht von umsatzsteuerpflichtigen Umsätzen aus.

 

Entscheidung

Nach Auffassung des Finanzgerichts sind die Umsätze der Klägerin aus den Kursen der großen Pferdegruppe nach § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb UStG steuerfrei und die Umsätze aus der Gewährung von Unterkunft und Verpflegung im Rahmen der Kurse der Ponygruppe und der Klassenfahrten nach § 4 Nr. 23 UStG steuerfrei. Dagegen sind die Umsätze aus den Kursen der Ponygruppe und aus den Klassenfahrten steuerpflichtig, soweit sie auf den Reitunterricht und das weitere Tagesprogramm entfallen.

Aus der Sicht eines Durchschnittsverbrauchers stellen die von der Klägerin erbrachten Kurse und die Gewährung von Unterkunft und Verpflegung eigene, selbstständige, für die Steuerbefreiung jeweils einzeln zu betrachtende Leistungen dar. Die streitigen Umsätze stehen nicht in einem Verhältnis von Haupt- und Nebenleistung. Die Kurse und die Unterkunft und Verpflegung dienten unterschiedlichen und gleichgewichtigen Zwecken.

Nach der Überzeugung des Finanzgerichts vermittelte der auf die Ablegung sog. Leistungsabzeichen ausgerichtete Reitunterricht der Kurse der großen Pferdegruppe Kenntnisse und Fähigkeiten, die den Kursteilnehmern u. a. die Berufsausübung als Turniersportreiter ermöglicht. Dabei ist es grundsätzlich unerheblich, ob die Kursteilnehmer dieses Berufsziel auch konkret angestrebt haben. Auch die Dauer der Ausbildung ist unerheblich. Der vorliegenden Bescheinigung des Bildungs- und Wissenschaftsministeriums des Landes Schleswig-Holstein kommt eine Indizwirkung dafür zu, dass die Kursangebote bezüglich der großen Pferdegruppe auch nicht der bloßen Freizeitgestaltung dienten.

Hinsichtlich der Kursangebote der Ponygruppe und der Klassenfahrten erbringt die Klägerin keine unmittelbar dem Bildungszweck dienende Leistungen, die zur Ausübung bestimmter beruflicher Tätigkeiten notwendig sind. Diese Kurse stellen auch keinen Schul- und Hochschulunterricht dar.

Die Gewährung von Beherbergung, Beköstigung durch Personen und Einrichtungen sind steuerfrei, wenn sie überwiegend Jugendliche vor Vollendung des 27. Lebensjahres für Erziehungs-, Ausbildungs- oder Fortbildungszwecke bei sich aufnehmen. Abzugrenzen ist die Aufnahme zu Erziehungs-, Ausbildungs- oder Fortbildungszwecken von Leistungen der Beherbergung und Verköstigung während eines kurzfristigen Urlaubsaufenthalts mit Freizeitangebot und Freizeitgestaltung.

Vorliegend hat die Klägerin bei den Kursen der Ponygruppe und bei Klassenfahrten Erziehungsaufgaben und bei den Kursen der großen Pferdegruppe Ausbildungsaufgaben i. S. d. § 4 Nr. 23 UStG übernommen.

Mieten für Messestandflächen: Keine gewerbesteuerrechtliche Hinzurechnung


Die Kosten für die Anmietung einer Messestandfläche können bei einem ausstellenden Unternehmen nur dann zu einer Hinzurechnung führen, wenn die Messestandfläche zu dessen Anlagevermögen gehört. Entscheidend ist, ob der Geschäftszweck des betreffenden Unternehmens und auch die speziellen betrieblichen Verhältnisse das dauerhafte Vorhandensein einer entsprechenden Messestandfläche erfordert.

 

Hintergrund

Die Klägerin ist eine GmbH, deren Gegenstand die Entwicklung, Herstellung und der Vertrieb von Produkten ist. Die GmbH selbst hat keinen Direktvertrieb; sie verkauft ihre Produkte durch ein stehendes Händlernetz. In den Jahren 2009 bis 2011 mietete sie wiederholt auf bestimmten turnusmäßig stattfindenden Messen Ausstellungsflächen und Räumlichkeiten an, um ihre Produkte dort zu präsentieren. Hierdurch entstand ihr ein jährlicher Aufwand i. H. v. 96.758 EUR (2009), 78.174 EUR (2010) und 105.264 EUR (2011). Den Aufwand behandelte sie als abziehbare Betriebsausgaben; eine gewerbesteuerliche Hinzurechnung eines Teils der Mietzinsen erklärte sie nicht.

Das Finanzamt war der Auffassung, dass eine Hinzurechnung des Aufwands zum gewerblichen Gewinn hätte erfolgen müssen. Den Einspruch gegen die geänderten Gewerbesteuermessbescheide wies das Finanzamt als unbegründet zurück.

Das Finanzgericht gab der dagegen gerichteten Klage, mit der die GmbH begehrte, die Gewerbesteuermessbeträge dahingehend abzuändern, dass die aus der Anmietung von Messestandflächen vorgenommenen Hinzurechnungsbeträge unterblieben, statt.

 

Entscheidung

Nach Auffassung des Bundesfinanzhofs hat das Finanzgericht die Hinzurechnungsvorschrift des § 8 Nr. 1 Buchst. e GewStG zutreffend ausgelegt. Die Revision des Finanzamts ist daher unbegründet.

Dem Gewinn aus Gewerbebetrieb wird ein Viertel aus 13/20 (2009) bzw. aus der Hälfte der Miet- und Pachtzinsen (2010, 2011) – einschließlich Leasingraten – für die Benutzung der unbeweglichen Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens, die im Eigentum eines anderen stehen, hinzugerechnet, soweit sie bei der Ermittlung des Gewinns abgesetzt worden sind und soweit die Summe der Beträge 100.000 EUR übersteigt.

Der Begriff des Anlagevermögens ist nach allgemeinen ertragsteuerlichen Grundsätzen zu bestimmen. Anlagevermögen sind danach die Gegenstände, die dazu bestimmt sind, auf Dauer dem Betrieb zu dienen. Das sind die zum Gebrauch im Betrieb bestimmten Wirtschaftsgüter. Zum Umlaufvermögen gehören demgegenüber die zum Verbrauch oder sofortigen Verkauf bestimmten Wirtschaftsgüter.

Für die Hinzurechnung nach § 8 GewStG ist darauf abzustellen, ob die Wirtschaftsgüter Anlagevermögen des Mieters oder Pächters wären, wenn sie in seinem Eigentum stünden. Diese Fiktion ist auf den Zweck zurückzuführen, durch die Hinzurechnung im Sinne einer Finanzierungsneutralität einen objektivierten Ertrag des Gewerbebetriebs zu ermitteln.

Das Finanzgericht hat den Geschäftsgegenstand der GmbH berücksichtigt und sich, soweit wie möglich, an den betrieblichen Verhältnissen orientiert. Es hat ausgehend von dem Geschäftszweck der GmbH, die ausschließlich ein Produktionsunternehmen betreibt, festgestellt, dass sie die hergestellten Produkte nicht unmittelbar an die Endabnehmer verkauft, sondern diese vielmehr unternehmensfremd durch ein stehendes Händlernetz indirekt vertrieben wurden. Der Unternehmensgegenstand erforderte daher keine zwingende Messeteilnahme.

Diese Würdigung des Finanzgerichts, dass die Klägerin unter Berücksichtigung des Geschäftsgegenstands und der Vertriebswege auf die ständige Verfügbarkeit von Messestandflächen nicht angewiesen war, die Teilnahme an Messen für den Verkauf der Produkte zwar förderlich, aber nicht betriebsnotwendig war, ist zumindest möglich und damit für den Senat bindend.

Wenn mehrere Nacherbschaften zusammentreffen: Welche Freibeträge gelten?


Haben mehrere Erblasser denselben Vorerben und nach dessen Tod denselben Nacherben eingesetzt, kann der Nacherbe für alle der Nacherbfolge unterliegenden Erbmassen insgesamt nur einen Freibetrag in Anspruch nehmen.

 

Hintergrund

1966 verstarb der Großvater, 1992 die Großmutter der Geschwister X. Die Großeltern hatten jeweils die Tante der X als Vorerbin und auf deren Tod u. a. die X als Nacherben eingesetzt. Die Tante verstarb 2015 und wurde ihrerseits u. a. durch die X als Miterben beerbt. Der Vater der X war bereits vor der Vorerbin verstorben.

In der Erbschaftsteuer-Erklärung stellten die X Anträge, der Versteuerung der Nacherbfälle ihr Verwandtschaftsverhältnis zu den Großeltern zugrunde zu legen.

Das Finanzamt berücksichtigte in den Erbschaftsteuer-Bescheiden gegenüber den X Freibeträge von 400.000 EUR pro Erben (Enkel der verstorbenen Erblasser bei vorverstorbenem Vater). Die X wandten dagegen ein, jedem von ihnen stehe der Freibetrag i. H. v. 400.000 EUR 2-mal zu, nämlich ein Freibetrag für jede Nacherbschaft, da es sich jeweils um 2 selbstständige Nacherbschaften (einmal nach dem Großvater und einmal nach der Großmutter) handelte.

Das Finanzgericht wies die Klagen der X ab. Einem Nacherben ist auch für mehrere gleichzeitig von demselben Vorerben angefallene Nacherbschaften nur ein Freibetrag zu gewähren. Auch bei mehreren Nacherbschaften liegt erbschaftsteuerrechtlich lediglich ein einheitlicher Erwerb vom Vorerben vor.

 

Entscheidung

Der Bundesfinanzhof bestätigte die Auffassung des Finanzamts und des Finanzgerichts. Auch bei mehreren Nacherbschaften steht dem Nacherben insgesamt lediglich ein Freibetrag zu.

Während zivilrechtlich der Vorerbe und der Nacherbe zwar nacheinander, aber beide vom ursprünglichen Erblasser erben, gilt erbschaftsteuerrechtlich der Vorerbe als Erbe und der Nacherbe als dessen Erbe. Die Vorschrift fingiert für erbschaftsteuerrechtliche Zwecke, dass der Nacherbe Erbe des Vorerben wird. Die Besteuerungsmerkmale sind im Verhältnis zur Person des Vorerben und nicht des Erblassers anzuwenden.

Geht beim Tod des Vorerben neben dem zur Nacherbschaft gehörenden Vermögen zugleich eigenes Vermögen des Vorerben auf den Nacherben über, weil der Nacherbe gleichzeitig Erbe nach dem Vorerben ist, liegen zivilrechtlich 2 Erbfälle vor (einer nach dem Erblasser und ein weiterer nach dem Vorerben). Erbschaftsteuerrechtlich handelt es sich gleichwohl um einen einheitlichen Erwerb vom Vorerben.

Haben mehrere Erblasser (hier die Großeltern) denselben Vorerben (hier die Tante) und auf dessen Tod denselben Nacherben (hier die Geschwister X) eingesetzt, steht dem Nacherben auf Antrag für alle der Nacherbfolge unterliegenden Erbmassen insgesamt lediglich ein Freibetrag zu, der sich nach dem Verhältnis zu demjenigen Erblasser richtet, für den es der Nacherbe beantragt. Soweit dieser Freibetrag nicht verbraucht ist, verbleibt ein Freibetrag für das Vermögen des Vorerben.

Mit der Nacherbfolge tritt erbschaftsteuerrechtlich eine Verschmelzung des Vermögens des Vorerben mit dem der Nacherbfolge unterliegenden Vermögen ein. Beim Tod des Vorerben findet ein einziger Erwerbsvorgang statt, für den auch nur ein einziger Freibetrag gewährt werden kann. § 6 Abs. 2 Satz 4 ErbStG bringt mit der Formulierung "der Freibetrag für das der Nacherbfolge unterliegende Vermögen" zum Ausdruck, dass es unabhängig von der Anzahl der Erblasser für das gesamte der Nacherbfolge unterliegende Vermögen immer nur einen einzigen Freibetrag geben kann. § 6 Abs. 2 Satz 4 ErbStG bezweckt, dem Nacherben lediglich den Freibetrag zu gewähren, der dem für ihn günstigsten in Betracht kommenden Freibetrag entspricht.

Die etwaigen Näheverhältnisse zwischen dem Erben und mehreren (ursprünglichen) Erblassern, auf die die Nacherbschaften zurückgehen, erfordern keine kumulative Berücksichtigung mehrerer Freibeträge. Bereits die Deckelung des für den Erwerb vom Vorerben geltenden Freibetrags zeigt, dass das Näheverhältnis des Erben, der gleichzeitig Nacherbe ist, zu jedem Erblasser zwar grundsätzlich berücksichtigt werden kann, diese Berücksichtigung aber nur bis zu dem für den Nacherben günstigsten Freibetrag reichen soll. Wenn beim Zusammentreffen einer Nacherbschaft mit einem Erwerb direkt vom Vorerben die Freibeträge in dieser Weise begrenzt werden, spricht dies dafür, auch beim Zusammentreffen mehrerer Nacherbschaften den anzuwendenden Freibetrag für den Erwerb insgesamt auf den für den Nacherben günstigsten zu begrenzen und einen solchen Erwerb damit im Vergleich zum Erwerb eigenen Vermögens des Vorerben nicht zu privilegieren.

Bevollmächtigung ohne Vorlage einer schriftlichen Vollmacht: Steuerbescheid trotzdem ordnungsgemäß bekanntgegeben?


Tritt ein Angehöriger der steuerberatenden Berufe für einen Steuerpflichtigen gegenüber dem Finanzamt auf, wird vermutet, dass eine ordnungsgemäße Bevollmächtigung gegeben ist. Das gilt auch ohne Vorlage einer schriftlichen Vollmacht.

 

Hintergrund

Mit Schreiben vom 20.5.2014 zeigten die Prozessbevollmächtigten der Kläger beim Finanzamt an, dass sie die Kläger hinsichtlich der "Erklärung von Einkünften für die Jahre 2008 - 2011" sowie "Einkommensteuer 2012" vertreten und reichten entsprechende, von den Klägern am 14.5.2014 unterschriebene Vollmachten ein. Dem Schreiben war eine Schätzung ausländischer Kapitalerträge für die Jahre 2008 bis 2011 beigefügt.

Im weiteren Verlauf forderte das Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung R (Steuerfahndung) die Prozessbevollmächtigten auf, die Anlagen KAP für die Jahre 2008 bis 2011 einzureichen und darüber hinaus auch die Kapitaleinkünfte für die noch nicht festsetzungsverjährten Jahre 2004 bis 2007 zu erklären.

Die Prozessbevollmächtigten reichten sodann im Jahr 2015 "wunschgemäß die ergänzenden Anlagen KAP zur Nacherklärung von Einkünften unserer Mandanten für die Jahre 2004 bis 2011" ein. Das Finanzamt änderte daraufhin die Einkommensteuerfestsetzung für 2004 mit Bescheid vom 18.12.2015 und stellte den geänderten Einkommensteuerbescheid mit Zustellungsurkunde am 21.12.2015 den Prozessbevollmächtigten zu. Diese leiteten den Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr im Januar 2016 an die Kläger weiter.

Die Kläger, nach deren Auffassung die Prozessbevollmächtigten nur für die Jahre 2008 bis 2011 bevollmächtigt gewesen sind und der Einkommensteuerbescheid für 2004 daher nicht wirksam bekannt gegeben worden war, legten hiergegen am 18.1.2016 Einspruch ein.

Einspruch und Klage vor dem Finanzgericht hatten keinen Erfolg.

Entscheidung

Der Bundesfinanzhof entschied, dass das Finanzamt den Einkommensteuerbescheid für 2004 durch Zustellung an die Prozessbevollmächtigten mit Wirkung gegenüber den Klägern und damit rechtzeitig – vor Ablauf der Festsetzungsfrist zum 31.12.2015 um 24:00 Uhr – bekannt gegeben hat.

Die wegen der Steuerhinterziehung auf 10 Jahre verlängerte Festsetzungsfrist für die Einkommensteuer des Streitjahres hat mit Ablauf des Kalenderjahres 2005 begonnen, in dem die Kläger ihre Steuererklärung eingereicht hatten. Sie endete somit mit Ablauf des Jahres 2015, mithin jeweils erst nach der Bekanntgabe des angefochtenen Bescheids am 21.12.2015.

Das Finanzamt hat sein Ermessen, den Steuerbescheid für 2004 nach § 122 Abs. 1 Satz 3 AO auch ohne das Vorliegen einer schriftlichen Empfangsvollmacht dem Prozessbevollmächtigten anstatt den Klägern zuzustellen, fehlerfrei ausgeübt.

Verfahrensrechtliche Fragen bei einem Nullbescheid


Aus einem Steuerbescheid, der eine Steuer von 0 EUR festsetzt, ergibt sich keine für die Zulässigkeit einer Anfechtungsklage erforderliche Beschwer.

 

Hintergrund

Der als gemeinnützig und mildtätig anerkannte X-Verband der freien Wohlfahrtspflege unterhält diverse wirtschaftliche Geschäftsbetriebe sowie Zweckbetriebe. Der X-Verband ist aufgrund eines Vertrags mit dem Landkreis als Leistungserbringer im Rettungsdienst tätig. Die Abrechnung seiner Leistungen wickelt er selbstständig mit den Kostenträgern ab.

Im Jahr 2012 verlangten die Sozialleistungsträger, dass jeder Landkreis nur eine Abrechnungsstelle vorhalten soll. Daraufhin erweiterten der Landkreis A und der X-Verband ihren Vertrag dahingehend, dass der X-Verband – neben der Abrechnung der eigenen Einsätze – auch die Abrechnungen der Einsätze für andere Leistungserbringer des öffentlichen Rettungsdienstes gegenüber den Kostenträgern durchführen soll. Der Landkreis A als Träger des Rettungsdienstes und der X-Verband schlossen mit dem jeweiligen anderen Leistungserbringer Vereinbarungen über die Abrechnung der Rettungsdiensteinsätze.

Basis der Abrechnung im Jahr 2012 war ein Vertrag zwischen dem Landkreis A als Träger des Rettungsdienstes und den Sozialleistungsträgern als Kostenträger über die Benutzungsentgelte. In dem vereinbarten Kostenvolumen war ein Anteil für die dem X-Verband entstehenden Abrechnungskosten enthalten. Gleichzeitig vereinbarten der Landkreis A und die Sozialleistungsträger einen sog. Defizitausgleich. Aufgrund des Defizitausgleichs mit dem Kostenersatz betrug der Gewinn der "Abrechnungsstelle" des X-Verbands für 2012 0 EUR.

Das Finanzamt ging davon aus, dass der Betrieb der "Abrechnungsstelle" (ausgenommen die Abrechnung eigener Rettungsdienstleistungen des X-Verbands) ein wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb und kein Zweckbetrieb ist. Dementsprechend erließ das Finanzamt für 2012 geänderte Bescheide über Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer-Messbetrag, mit denen es die Körperschaftsteuer und den Gewerbesteuer-Messbetrag auf jeweils 0 EUR festsetzte.

Mit der anschließenden Klage verfolgte der X-Verband die Anerkennung als Zweckbetrieb. Das Finanzgericht legte die Klage als Feststellungsklage aus und wies diese als unbegründet ab, weil die Abrechnung für andere Leistungserbringer ein wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb, aber kein Zweckbetrieb ist.

 

Entscheidung

Der Bundesfinanzhof wies die Revision zurück. Entgegen der Auffassung des Finanzgerichts hat der X-Verband keine Feststellungsklage, sondern eine Anfechtungsklage erhoben. Diese Klage ist nicht als unbegründet, sondern bereits als unzulässig abzuweisen.

Der Gegenstand der Klage richtet sich nach dem Klagebegehren. Dieses geht dahin, dass sich der X-Verband gegen die Einstufung seiner Abrechnungstätigkeit für andere Leistungserbringer als wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb wendet. Daher greift der X-Verband ausdrücklich die ergangenen Nullbescheide an. Damit handelt es sich nicht um eine Feststellungsklage, sondern um eine Anfechtungsklage.

Eine auf 0 EUR lautende Steuerfestsetzung belastet den Steuerpflichtigen regelmäßig nicht. Eine Anfechtungsklage gegen einen Nullbescheid ist daher grundsätzlich unzulässig. Anders ist es, wenn der Regelungsgehalt des Bescheids ausnahmsweise über die bloße Steuerfestsetzung hinausreicht und sich eine zu niedrige Steuerfestsetzung daher anderweitig (bindend) ungünstig auswirkt. Das ist vorliegend aber nicht der Fall. Die Gemeinnützigkeit als solche ist nicht im Streit. Vielmehr beschränkt sich der Streitfall auf den bloßen sachlichen Umfang der Steuerbefreiung, weil der X-Verband mehrere wirtschaftliche Geschäftsbetriebe unterhält und die Eigenschaft nur eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs als Zweckbetrieb im Ergebnis als unselbstständige Besteuerungsgrundlage streitig ist.

Die Klage ist auch nicht als Feststellungsklage zulässig, da die begehrte Feststellung gegenüber der Anfechtungsklage subsidiär ist.

Haben Steuerpflichtige ein Recht auf Akteneinsicht?


Ob Steuerpflichtige ein Recht auf Akteneinsicht haben, ist nicht unumstritten. Der Bundesfinanzhof lehnte ein solches Recht bisher ab. Das Niedersächsische Finanzgericht entschied nun, dass Steuerpflichtigen aufgrund der Datenschutzgrundverordnung grundsätzlich ein Recht auf Akteneinsicht im steuerlichen Verwaltungsverfahren zusteht.

 

Hintergrund

Der Kläger beantragte die Einsicht in die Steuerakten beim Finanzamt für das Jahr 2015. Ziel war im Wesentlichen zu prüfen, ob ein Anspruch gegen den ehemaligen steuerlichen Vertreter in Betracht kam.

Das Finanzamt lehnte den Antrag auf Einsicht ab, da der Steuerpflichtige nach der AO kein grundsätzliches Recht auf Akteneinsicht hat. Bei pflichtgemäßer Ermessensausübung kommt dabei hier keine Akteneinsicht in Betracht, da der Kläger kein berechtigtes Interesse dargelegt hatte. Der Kläger verwies auf Art. 15 Abs. 1 DSGVO, in dem ein solches Recht normiert und auch im steuerlichen Verwaltungsverfahren anzuwenden ist.

Das Finanzamt wies den Einspruch ab. Deshalb wandte sich der Kläger an das Finanzgericht.

 

Entscheidung

Das Finanzgericht gab der Klage statt. Zwar ist es zutreffend, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs der Steuerpflichtige einen Anspruch auf eine pflichtgemäße Ermessensausübung dahingehend hat, ob Akteneinsicht zu gewähren ist. Das Gericht ist jedoch der Auffassung, dass aufgrund der seit 2018 geltenden DSGVO und dem Recht auf Gehör dem Steuerpflichtigen ein Recht auf Akteneinsicht zusteht. Auch das Steuergeheimnis steht dem nicht entgegen.

Deshalb reduziert sich vorliegend das Ermessen auf null, das Finanzamt muss dem Kläger Akteneinsicht gewähren. Darüber hinaus habe der Kläger ein Recht auf Akteneinsicht auch aus Art. 15 DSGVO. Denn dieser hat im steuerlichen Verwaltungsverfahren unmittelbare Anwendung. Dieser Anspruch steht nicht im Ermessen der Finanzbehörde. Der Kläger hat somit auch aufgrund dieser Norm unmittelbar einen Anspruch auf Akteneinsicht.

Zur Anlaufhemmung bei Abgabe der Erklärung beim unzuständigen Finanzamt


Wird die Einkommensteuer-Erklärung bei einem unzuständigen Finanzamt abgegeben, kann dies für die Beendigung der Anlaufhemmung genügen. Voraussetzung ist, dass das unzuständige Finanzamt seine Fürsorgepflicht verletzt, indem es die Erklärung lediglich zu den Akten nimmt und nicht weiterleitet, obwohl ihm die zuständige Behörde bekannt ist.

 

Hintergrund

Kläger X ist Insolvenzverwalter über den Nachlass des M. Das Insolvenzverfahren wurde 2008 eröffnet.

M war selbstständiger Architekt. Für die gesonderte Feststellung der freiberuflichen Einkünfte war das Finanzamt H zuständig. Das Finanzamt A war für die Einkommensteuer-Veranlagung zuständig.

Nach dem Tod des M im Jahr 2020 schätzte das Finanzamt A den Gewinn aus selbstständiger Tätigkeit für 2010 auf 0 EUR und setzte die Einkommensteuer auf 0 EUR fest, da trotz Aufforderung keine Einkommensteuer-Erklärung abgegeben wurde.

Auch nach mehrmaliger Aufforderung zur Abgabe der Feststellungs- und Einkommensteuer-Erklärung durch das Finanzamt H wurden keine Erklärungen eingereicht. Das Finanzamt H schätzte daher den Gewinn auf 1,6 Mio. EUR. Das Finanzamt H hatte zuvor Fristverlängerungsanträge – ausdrücklich auch für die Einkommensteuer-Erklärung – abgelehnt.

Im Jahr 2011 reichte X die Gewinnermittlung für die freiberufliche Tätigkeit beim Finanzamt H ein. Beigefügt war eine an das Finanzamt H gerichtete auf amtlichem Vordruck gefertigte Einkommensteuer-Erklärung, die in der Anlage S einen Gewinn aus selbstständiger Tätigkeit von 900.000 EUR auswies.

Das Finanzamt H erließ daraufhin im Oktober 2011 einen geänderten Gewinnfeststellungsbescheid und reduzierte die Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit auf 900.000 EUR. Die Einkommensteuer-Erklärung 2010 nahm das Finanzamt H lediglich zu den Akten. Es leitete die Erklärung weder an das Finanzamt A weiter noch informierte es über deren Eingang.

Wegen eines Fehlers hob das Finanzamt H den Gewinnfeststellungsbescheid auf und erließ im Jahr 2012 einen geänderten Feststellungsbescheid mit einer entsprechenden Mitteilung an das Finanzamt A. Im Anschluss hieran erließ das Finanzamt A im Jahr 2013 einen Einkommensteuer-Änderungsbescheid, in dem es Einkünfte aus selbstständiger Arbeit laut gesonderter Feststellung i. H. v. 900.000 EUR ansetzte.

Nachdem X mitgeteilte hatte, diesen Bescheid nicht erhalten zu haben, erließ das Finanzamt A erst am 6.10.2016 einen geänderten Einkommensteuer-Bescheid, mit dem es die Einkommensteuer auf 400.000 EUR (u. a. wegen Berücksichtigung einer KG-Beteiligung des M) festsetzte.

Hiergegen wandte X Festsetzungsverjährung ein. Nach Abgabe der Einkommensteuer-Erklärung beim Finanzamt H am 19.10.2011 stand dem Einkommensteuer-Änderungsbescheid des Finanzamts A vom 6.10.2016 der Ablauf der 4-jährigen Festsetzungsfrist zum 31.12.2015 entgegengestanden.

Die Klage vor dem Finanzgericht hatte Erfolg.

 

Entscheidung

Und auch der Bundesfinanzhof gab dem Kläger Recht. Er entschied, dass vorliegend die Abgabe der Einkommensteuer-Erklärung 2010 bei dem für die Einkommensteuer-Veranlagung unzuständigen Finanzamt H am 19.10.2011 ausnahmsweise bewirkte, dass die Festsetzungsfrist bereits mit Ablauf des Kalenderjahres 2011 zu laufen begonnen hat. Die Festsetzungsfrist endete daher mit Ablauf des 31.12.2015.

X hat als Insolvenzverwalter eine teils unvollständige, aber gleichwohl wirksame Einkommensteuer-Erklärung abgegeben. Der Vordruck enthielt die erforderlichen Mindestangaben zu M, um ein ordnungsgemäßes Veranlagungsverfahren in Gang zu setzen.

Die Anlaufhemmung wird grundsätzlich nur durch die Abgabe der Erklärung beim zuständigen Finanzamt beendet. Wird die Erklärung bei einer unzuständigen Finanzbehörde eingereicht, wird die Anlaufhemmung erst beendet, wenn das zuständige Finanzamt die Erklärung erhält, da es erst dann in der Lage ist, die Veranlagung fristgerecht durchzuführen.

Im Streitfall liegen jedoch besondere Umstände vor. Denn das Finanzamt H hat seine Fürsorgepflicht gegenüber dem X schwerwiegend verletzt, indem es die am 19.10.2011 bei ihm eingereichte Einkommensteuer-Erklärung zu den Akten genommen hat, ohne sie zeitnah an das bekanntermaßen zuständige Finanzamt A weiterzuleiten oder den X zumindest über die unterbliebene Weiterleitung zu informieren. Die Pflichtverletzung ist gravierend, zumal das Finanzamt H in der Ablehnung der von X begehrten Fristverlängerung für die Abgabe der Einkommensteuer-Erklärung am 19.09.2011 selbst den Anschein seiner Zuständigkeit erweckt hatte.

Bei einem Verstoß gegen die Fürsorgepflicht ist der Steuerpflichtige so zu stellen, als wäre der Verstoß nicht passiert. Demnach ist der X so zu behandeln, als habe das Finanzamt H die Einkommensteuer-Erklärung 2010 im Zuge eines ordnungsgemäßen Geschäftsgangs und damit noch im Oktober 2011 an das Finanzamt A weitergeleitet und dieses damit in die Lage versetzt, die Einkommensteuer-Veranlagung für das Streitjahr durchzuführen. Dies hat zur Folge, dass die 4-jährige Festsetzungsfrist mit Ablauf des 31.12.2011 begonnen hat und am 31.12.2015 abgelaufen ist, sodass insbesondere die Einkünfte aus selbstständiger Arbeit im Einkommensteuer-Bescheid 2010 vom 6.10.2016 nicht mehr erfasst werden durften.

Grunderwerbsteuer: Keine Zurechnung von treuhänderisch gehaltenen Anteilen


Auch über eine mehrstöckige Beteiligung kann im Rahmen der Grunderwerbsteuer ein Anteil am Vermögen der Gesamthand vermittelt werden. Bei Treuhandverhältnissen ist der Anteil am Vermögen der Gesamthand dem Treuhänder zuzurechnen.

 

Hintergrund

Die A-KG, erwarb von der C-KG im Jahr 2015 Grundstücke.

Alleinige Kommanditistin der A-KG war die CT-KG als Zwischengesellschaft. Persönlich haftende Gesellschafterin der Zwischengesellschaft ohne Beteiligung am Vermögen war die Verkäuferin C-KG. Deren alleinige Kommanditistin war die X-GmbH. Aufgrund eines Treuhandvertrags hielt die X-GmbH (Treuhänderin) die KG-Anteile an der CT-KG für die C-KG (Treugeberin).

Das Finanzamt setzte gegenüber der A-KG Grunderwerbsteuer fest.

Die A-KG wandte ein, dass die Steuer für diesen Erwerb nicht zu erheben war. Denn die Kommanditbeteiligung an der Zwischengesellschaft (CT-KG) war der Verkäuferin (C-KG) als Treugeberin zuzurechnen. Damit war die Verkäuferin (C-KG) mittelbar zu 100 % am Vermögen der Käuferin (A-KG) beteiligt.

Das Finanzgericht wies die Klage ab. Es ging davon aus, dass die mittelbar an der A-KG beteiligte Treuhänderin (X-GmbH) als Kapitalgesellschaft nicht als transparent angesehen werden konnte.

 

Entscheidung

Die Revision beim Bundesfinanzhof hatte keinen Erfolg. Denn durch den Erwerb der Grundstücke durch die A-KG von der C-KG wurde der Tatbestand des § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG verwirklicht. Die Voraussetzungen für eine Nichterhebung der Steuer nach § 6 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. Abs. 1 Satz 1 GrEStG sind nicht erfüllt.

Beim Übergang eines Grundstücks von einer Gesamthand auf eine andere Gesamthand wird die Steuer nicht erhoben, soweit die Anteile der Gesamthänder am Vermögen der erwerbenden Gesamthand ihren Anteilen am Vermögen der übertragenden Gesamthand entsprechen.

Das Grunderwerbsteuer-Recht sieht die Personengesellschaft als selbstständigen Rechtsträger an. Die Befreiungsvorschriften erkennen dementsprechend grundsätzlich an, dass bei einem Übergang eines Grundstücks von einzelnen Gesamthändern auf eine Gesamthandsgemeinschaft ein steuerbarer Rechtsträgerwechsel stattfindet, sehen jedoch von der Erhebung der Steuer ab, soweit der Gesamthänder als Veräußerer zunächst Eigentümer des Grundstücks war und dann anteilsmäßig über das Vermögen der Gesamthand beteiligt ist. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass aufgrund der gesamthänderischen Verbundenheit der Gesellschafter das Grundstück trotz Rechtsträgerwechsels in demselben grunderwerbsteuerrechtlichen Zurechnungsbereich verbleibt.

Das gilt auch, wenn die Beteiligung am Vermögen der Gesamthand durch eine Zwischengesellschaft vermittelt wird. Bei doppelstöckigen Gesamthandsgemeinschaften ist daher nicht die Zwischengesellschaft als solche als Zurechnungssubjekt anzusehen, sondern ein Rückgriff auf die am Vermögen der Zwischengesellschaft beteiligten Gesamthänder geboten.

Ein Treuhandverhältnis allein reicht jedoch nicht aus, um einem Treugeber (C-KG) eine Beteiligung am Vermögen einer Gesamthand zuzurechnen. Denn nicht der Treugeber (C-KG), sondern der Treuhänder (X-GmbH) ist zivilrechtlich am Vermögen der Gesamthand beteiligt. Die Notwendigkeit einer erweiternden Auslegung liegt nicht vor.

Die Verkäuferin (C-KG) war zwar persönlich haftende Gesellschafterin der Zwischengesellschaft (CT-KG). Als solche war sie aber nicht am Gesamthandsvermögen der Zwischengesellschaft beteiligt. Soweit die Verkäuferin Treugeberin für die Kommanditistin der Zwischengesellschaft (X-GmbH) war, kann diese Stellung wegen Fehlens einer zivilrechtlichen Beteiligung der Treugeberin an der Verkäuferin die Nichterhebung der Steuer nicht tragen.

Wiedereinstellungsanspruch kann nicht bei einer Insolvenz geltend gemacht werden


Bei einem Betriebsübergang können Beschäftigte einen Anspruch auf Wiedereinstellung durch den Betriebsnachfolger haben. Dieser Anspruch erlischt jedoch bei einer Insolvenz spätestens mit Insolvenzeröffnung.

 

Hintergrund

Der Arbeitnehmer war seit 1986 als Versandleiter bei einem Betten- und Matratzenhersteller mit rund 300 Beschäftigten tätig. 2018 kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis wirksam zu Ende Juli 2019 aus betriebsbedingten Gründen wegen der geplanten Stilllegung des Betriebs.

Noch während der Kündigungsfrist kam es nach Ansicht des Arbeitnehmers zu einem Betriebsübergang. Entgegen den ursprünglichen Planungen war der Betrieb nicht stillgelegt, sondern die Produktion der Matratzen und Betten mit den vorhandenen Maschinen und Produktionsstraßen ab August 2019 von einem neuen Arbeitgeber ausgeführt worden.

Der Arbeitnehmer verlangte daher von dem neuen Arbeitgeber, der etwa 20 Arbeitnehmer beschäftigte, seine Wiedereinstellung. Gegen eine von diesem vorsorglich erklärte Kündigung erhob er fristgerecht Kündigungsschutzklage. Während des Berufungsverfahrens wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen des neuen Arbeitgebers eröffnet und ein Insolvenzverwalter bestellt. Das Verfahren wurde dadurch unterbrochen. Der Arbeitnehmer erklärte mit Schriftsatz vom 29.6.2020 die Aufnahme des Verfahrens. Der Insolvenzverwalter widersprach der Aufnahme.

 

Entscheidung

Das Bundesarbeitsgericht stellte klar, dass in der Insolvenz des Arbeitgebers kein Wiedereinstellungsanspruch des Arbeitnehmers besteht. Wenn ein solcher Anspruch vor Insolvenzeröffnung bereits gegenüber dem insolventen Arbeitgeber entstanden ist, erlischt er mit Insolvenzeröffnung. Denn die Insolvenzordnung bindet den Insolvenzverwalter nur an bereits vom insolventen Arbeitgeber begründete Arbeitsverhältnisse. Es gibt für den Insolvenzverwalter keinen Zwang zum Abschluss eines Arbeitsvertrags. Einen solchen Zwang kann nur der Gesetzgeber anordnen.

Die Revision des Arbeitnehmers hatte jedoch aus prozessualen Gründen Erfolg. Der Wiedereinstellungsanspruch kommt zum Tragen, wenn sich die bei Zugang der Kündigung noch zutreffende Prognose des Arbeitgebers, dass der Beschäftigungsbedarf bei Ablauf der Kündigungsfrist entfällt, etwa wegen eines Betriebsübergangs, als fehlerhaft erweist. Zwar besteht ein solcher Anspruch in der Insolvenz nicht, sodass der Rechtsstreit an sich nicht ZPO unterbrochen wird.

Da im vorliegenden Fall jedoch mit dem Wiedereinstellungsanspruch zugleich die Wirksamkeit der Kündigung angegriffen wird, führt das auch zur Unterbrechung des Rechtstreits über die Wiedereinstellung. Umgekehrt hat die Aufnahme des Kündigungsrechtsstreits, für die es genügt, dass bei Obsiegen des Arbeitnehmers Masseverbindlichkeiten entstehen können, auch die Aufnahme des Streits über die Wiedereinstellung zur Folge.

Warum Arbeitgeber bei vorzeitiger Kündigung nicht immer die Rückzahlung von Fortbildungskosten verlangen können


Rückzahlungsvereinbarungen über Fortbildungskosten sind zwar grundsätzlich zulässig. Eine Rückzahlungspflicht bei einer gesundheitsbedingten Eigenkündigung benachteiligt jedoch die betroffene Arbeitnehmerin unangemessen, sodass die Rückzahlungsverpflichtung unwirksam sein kann.

 

Hintergrund

Von Juni 2017 bis Januar 2020 war die Klägerin als Altenpflegerin in einer Reha-Klinik beschäftigt. Im Jahr 2019 nahm sie an einer Fortbildung zum "Fachtherapeut Wunde ICW" an 18 Arbeitstagen teil. Der mit dem Arbeitgeber geschlossene Fortbildungsvertrag regelte, dass der Arbeitgeber die Kosten übernimmt, während die Arbeitnehmerin sich für mindestens 6 Monate nach dem Ende der Fortbildung zu einer Bindung an den Arbeitgeber verpflichtete. Für den Fall einer vorzeitigen Eigenkündigung wurde zudem eine Rückzahlungspflicht vereinbart.

Als die Klägerin nach erfolgreich abgeschlossener Fortbildung fristgerecht zu Februar 2020 kündigte, forderte der Arbeitgeber im Hinblick auf die Rückzahlungsklausel im Vertrag, die Kosten von ihr anteilig zurück. Die Klägerin verweigerte dies mit der Begründung, dass sie aus gesundheitlichen Gründen gekündigt hatte. Die Klausel benachteiligte sie unangemessen, da sie das Arbeitsverhältnis unverschuldet nicht weiterführen konnte.

 

Entscheidung

Die Klage hatte Erfolg. Das Bundesarbeitsgericht erklärte die Klausel zur Rückzahlungsverpflichtung im Fortbildungsvertrag für unwirksam, da sie die Klägerin unangemessen benachteiligte. Rückzahlungsvereinbarungen über Fortbildungskosten sind zwar grundsätzlich zulässig sind. Im Einzelfall könnten sie Arbeitnehmende jedoch unangemessen benachteiligen. Insbesondere ist es nicht zulässig, die Rückzahlungspflicht allein an das Ausscheiden aufgrund einer Eigenkündigung der Beschäftigten innerhalb der vereinbarten Bindungsfrist zu knüpfen.

Hier muss vielmehr nach dem Grund des vorzeitigen Ausscheidens differenziert werden. Eine Verpflichtung zur Kostenübernahme bei vorzeitigem Ausscheiden benachteiligt Arbeitnehmende unangemessen, wenn diese es nicht in der Hand haben, durch eigene Betriebstreue der Rückzahlungsverpflichtung zu entgehen, wie z. B. bei vertragswidrigem Verhalten des Arbeitgebers. Gleiches ist anzunehmen, wenn es Arbeitnehmern wie im vorliegenden Fall krankheitsbedingt unverschuldet und auf Dauer nicht möglich ist, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen. Auch dann ist eine Bindung der Beschäftigten an das Arbeitsverhältnis unangemessen und nicht gerechtfertigt.

Fahrradkeller verkleinert: Mietminderung kann gerechtfertigt sein


Wird ein großzügiger gemeinschaftlicher Fahrradkeller nachträglich auf wenige Quadratmeter verkleinert, stellt dies einen Mangel der Mietsache dar. Dieser kann zu einer Mietminderung führen.

 

Hintergrund

Zu Beginn des Mietverhältnisses befand sich im Haus ein etwa 50 qm großer Fahrradkeller. Im Mietvertrag selbst ist dieser nicht aufgeführt, der Vertrag verweist allerdings auf das Übergabeprotokoll, welches Vertragsbestandteil sein soll. Laut Übergabeprotokoll hat der Mieter einen Schlüssel zum Fahrradkeller erhalten. Im Zuge von Modernisierungsarbeiten wurde der Fahrradkeller im Jahr 2009 auf 7 qm verkleinert.

Die Mietvertragsparteien streiten nun darüber, ob der Mieter wegen des verkleinerten Fahrradkellers die Miete für den Zeitraum Oktober 2011 bis zum Ende des Mietverhältnisses im Jahr 2017 mindern konnte. Amts- und Landgericht bejahten dies und hielten eine Mietminderung von 4,8 % für angemessen.

 

Entscheidung

Der Bundesgerichtshof teilt die Auffassung der Vorinstanzen und gibt dem Mieter Recht. Die Verkleinerung des Fahrradkellers begründet einen Mangel der Mietsache, der zu einer Minderung berechtigt.

Die Mitnutzung des Fahrradkellers in der ursprünglichen Größe ist durch die Bezugnahme auf das Übergabeprotokoll Inhalt des Mietvertrags und dem Mieter nicht nur frei widerruflich eingeräumt worden. An dieser Beurteilung der Vorinstanzen hat der Bundesgerichtshof nichts zu beanstanden.

Die vertraglich geschuldete Sollbeschaffenheit des Fahrradkellers ist auch nicht dadurch geändert worden, dass der Mieter die Modernisierungsmaßnahmen, die zu der Verkleinerung geführt haben, geduldet hat.

Auch bei einem bloßen Recht zur Mitbenutzung ist wegen der erheblichen Verkleinerung des Fahrradkellers eine Minderung i. H. v. 4,8 % angemessen.